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Fatebug - Tödliches Netzwerk 78

 

78.

 

 

 

Das Interview am gestrigen Abend war eine Katastrophe. Eine Katastrophe für uns!“, warf Staatssekretär Schneider provozierend in die Runde.

 

Diese Runde bestand neben ihm aus seiner Kollegin, Vera Buhr, Staatssekretärin im Bundesjustizministerium, sowie hochrangigen Beamten beider Ministerien.

 

Die Kabinettsmitglieder erwarten von unseren Ministerien wie derartige Vorgänge wie die aktuell durch diese Fatebug-Posts ausgelöste Panik, künftig verhindert werden können. Dabei geht es nicht nur um das Thema von Hass-Postings. Auch das Phänomen der sogenannten Fake-News soll ebenfalls unter Kontrolle gebracht werden. Vorschläge?“, fragte Staatssekretär Schneider und lehnte sich erwartungsvoll in seinen Stuhl zurück.

 

 

 

Es dauerte einige Sekunden bis Wolfgang Ascher, einer der Abteilungsleiter des Bundesjustizministeriums das Wort ergriff. Ob er der erste war, der Mut gefasst hatte oder der erste, der das kollektive Schweigen nicht mehr ertragen konnte, sei dahingestellt. Vielleicht hätte er auch besser geschwiegen.

 

Mit der aktuellen Rechtslage sind diese Ziele nicht zu erreichen. Die Unternehmen verhalten sich gesetzeskonform. Aus moralischer Sicht kann man das diskutieren, juristisch nicht.“

 

Ich hatte um Lösungsvorschläge gebeten. Keine Bankrotterklärungen“, blaffte Schneider zurück. „Also!“

 

Gut, wir sind uns einig, dass wir die Situation nur über eine Gesetzesänderung in den Griff bekommen“, antwortete Brigitte Metzler, ebenfalls Abteilungsleiterin im Justizministerium.

 

Aber bevor wir die Ursachen beseitigen, müssen wir sie identifizieren“.

 

Warum können wir weder gegen die Verursacher, sowohl der Hass-Postings und Fake-News nichts unternehmen? Weil wir sie nicht kennen. Haben wir sie, bietet uns das Gesetz nicht immer genügend Möglichkeiten, sie zur Verantwortung zu ziehen. Sie brauchen überhaupt keine Angst haben, die Konsequenzen ihrer Taten zu tragen. Das war schon immer ein Problem, das gab es schon immer, auch vor dem Internet. Früher haben sich die Feiglinge in der Menge versteckt. Im Mob. Dort konnten sie ihrer Aggressivität freien Lauf lassen. In jubelnden und gaffenden Mengen bei öffentlichen Hinrichtungen, als mordender und brandschatzender Mob bei Pogromen. Aber auch in der jüngeren Vergangenheit gab es Beispiele. Wir hätten es voraussehen können und frühzeitig etwas dagegen tun können. Schon seit den Anfangszeiten des Internets gab es diese Schmähungen, Drohungen und Falschnachrichten. Und zu Zeiten von Arpanet, BBS oder Usenet, also vor 20 bis 30 Jahren, waren es weit weniger Nutzer und zumeist auch noch Akademiker oder Studenten. Menschen mit höheren Bildungsniveau als die heutigen Internetnutzer im Schnitt. Und trotzdem gab es seinerzeit schon vergleichbare Handlungsmuster. Damals wie heute, ohne Furcht, dass sie sich für ihre Taten verantworten müssen, lassen sie das Tier in sich raus. Folglich müssen wir verhindern, dass sie anonym bleiben. Keine Anonymität, kein großes Problem“, analysierte Staatssekretärin Buhr.

 

Aber, wie sollen wir das durchsetzen?“, fragte Ascher.

 

Wir könnten die Konzerne zwingen, die Anmeldung eines Accounts mit der Identifizierung der Benutzer zu verbinden“, schlug Frank Meier, einer der Mitarbeiter von Frau Metzler, vor.

 

Die meisten haben doch schon einen Account. Damit kriegen wir doch höchstens den kargen Rest. Nachwuchs und Spät- entschlossene“, antwortete seine Chefin.

 

Dann müssten sie die Accounts zeitlich limitieren und die Nutzer zwingen, sich in bestimmten Zeitintervallen neu registrieren und identifizieren zu lassen“, antwortete Meier.

 

Selbst wenn wir das durchsetzen könnten, bliebe immer noch die Möglichkeit, dass die Nutzer sich über ausländische Accounts Zugang zu den Diensten zu verschaffen“, stellte die Staatssekretärin fest. „Eine auf die Bundesrepublik beschränkte Lösung hilft uns nicht weiter. Und international. Wir schaffen es ja nicht einmal, für die EU eine einheitliche europäische Position zu beziehen“.

 

Dann müssen wir uns auf die Dinge konzentrieren, die in unserer Reichweite sind. Die wir kontrollieren können“, sagte Staatssekretär Schneider.

 

Und das wären?“, fragte seine Kollegin aus dem Justizministerium.

 

Physik. Materie“, antwortete Schneider. „Rechner, Server, IP-Adressen, alles in Deutschland stationiert. Und nur bedingt mobil. Und im Sitz von Gesellschaften oder Unternehmenstöchtern, die ihren Sitz in der Bundesrepublik haben. Die unserer Gesetzgebung unterliegen.“

 

Und wie soll uns das helfen?“, fragte Frau Metzler.

 

Keine Ahnung. Ich bin kein Experte“, antwortete Schneider. „Aber bei der Telefonie schaffen wir das doch auch. Wir können Verbindungen identifizieren, sie speichern, sie anhören, die Aufenthaltsorte der Teilnehmer bestimmen. Wenn wir Kommunikation von Sprache kontrollieren können, kann es bei Text doch nur einfacher sein“.

 

Herr Kollege“, ergriff Staatssekretärin Buhr das Wort. „Selbst wenn wir das alles bei der Kommunikation über Telefone könnten, was wir wohlgemerkt aber nicht oder nur sehr eingeschränkt dürfen, ist auch das nicht so einfach machbar. Ganz davon abgesehen, dass wir damit die sicher aufkommende problematische Diskussion über Meinungsfreiheit und Überwachungsstaat ausblenden. Wie soll das gehen? An alles was auf ausländischen Servern liegt, kommen wir nicht heran. Also könnten wir nur an die Daten kommen, wenn wir sie unterwegs abfangen. Aber wonach sollen wir suchen, filtern. Bei der Telefonüberwachung konzentrieren sich unsere Freunde, wir dürfen und machen das ja nicht, auf Lauschalgorithmen mit wenigen Schlüsselworten. Aber wonach sollen wir bei Hasspostings suchen? Welche Schlüsselbegriffe sollen wir überwachen? Was ist, wenn die Nutzer fremde Rechner oder Zugänge nutzen, mit fremden IP-Adressen?“

 

Bezüglich der Schlüsselworte kann man mit einer Auswahl starten. Und die Menge dann verändern. Je nach Bedarf. Das mit dem Zugriff durch fremde IP-Adressen müssen wir in Kauf nehmen, jede Lösung hat Lücken. Notfalls muss man die Anbieter von Zugängen zwingen ,die Benutzer zu identifizieren. Damit würden wir die Geschichte zwar zu einem guten Teil zurückdrehen. Die Anbieter waren ja bis vor kurzem sogar noch in der Haftung. Aber soweit müssten wir in einem ersten Schritt gar nicht gehen. Allein wenn die Nutzer wüssten, dass sie erwischt werden könnten, sollte das viele ausreichend einschüchtern. Wir dürften also nicht im Verborgenen agieren. Das heißt, durch die öffentliche Diskussion müssen wir durch. Und wann, wenn nicht jetzt? Wo weite Teile der Öffentlichkeit danach schreien, dass wir handeln. Man muss ihnen nur klarmachen, dass es die Lösung nicht umsonst gibt. Wenn keine besseren Vorschläge kommen, ist das der Vorschlag, den wir für die Minister haben.“