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Fatebug - Tödliches Netzwerk 81

 

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Beate und Werner Lamprecht wohnten in einem alten Bürgerhaus im Bonner Stadtteil Poppelsdorf. Eine der besten Wohngegenden in Bonn, die neben dem botanischen Institut das sich in den gut erhaltenen Gemäuern des Poppelsdorfer Schlosses eingerichtet hatte, auch zahlreiche weitere Institute der Bonner Universität aufweisen konnte. Werner Lamprecht war als Bereichsleiter im Einkauf eines großen Arzneimittelkonzerns nördlich von Köln, seine Frau als Sekretärin einer renommierten Bonner Notarkanzlei tätig. Gut situierte Bürger des gehobenen Mittelstands, Eltern zweier Kinder. Früher jedenfalls, denn bekanntermaßen hatte sich ihre Tochter ja vor etwa einem halben Jahr das Leben genommen. Dadurch war ihr bis dahin wohlgeordnetes Leben ziemlich aus den Fugen geraten. Waren sie bis dahin einen normale, harmonische, eher langweilig wirkenden Familie aus dem Bürgertum, zerbrach mit dem Tod der Tochter ihr Lebensgebäude oder zumindest die bis dahin so perfekt aussehende Fassade. Ihr Sohn, bis dato ein sein Jurastudium zügig durchlaufender junger Mann, rutschte binnen Wochenfrist in ein soziales Umfeld ab, mit dem er, bei planmäßigem Karriereverlauf, bestenfalls in Form von Klienten in Verbindung gekommen wäre. Alkohol, härtere Drogen, Beschaffungskriminalität traten an die Stelle von Kolloquien, Seminaren und Gesetzestexten. Nach Hause kam er nur noch, um Geld zu beschaffen, sei es zu schnorren oder durch einen flinken Griff in die Haushaltskasse seiner Eltern.

 

Auch Beate Lamprechts Leben war vom einem auf den anderen Tag zerstört. Drogen beschaffen, das brauchte sie nicht, sie bekam sie verschrieben, gegen ihre Depressionen. Seitdem die Streifenbeamten ihnen die Nachricht vom Tode ihrer Tochter überbrachten, hatte sie kein Wort mehr gesprochen, zumindest nicht mit ihrem nachbarschaftlichen und familiären Umfeld. Ob sie mit ihrer Psychologin sprach, die ihr Mann ihr besorgt hatte, konnten die Ermittler nicht in Erfahrung bringen: ärztliche Schweigepflicht! Ob sie mit ihrem Mann sprach, wussten die Nachbarn auch nicht, zumindest hatten sie derartiges nicht gesehen, konnten sie auch nicht, da Beate Lamprecht ihre Wohnung nicht mehr verließ, außer ihr Mann fuhr sie zu einer der wöchentlichen Therapiesitzungen. Ansonsten verschwand sie fast völlig aus dem Leben ihres Umfeldes, reduzierte sich zu einem Schatten hinter sich leicht bewegenden Gardinen.

 

Werner Lamprecht hatte, nein musste sich beurlauben lassen. Zuerst hatte er nur zu viel zu tun gehabt, eine angemessene medizinische Versorgung für seine Frau zu finden, sie zu den ersten Terminen zu begleiten oder auch seinen Sohn immer wieder aus kritischen Situationen zu befreien. Dann war zunehmend die Furcht dazugekommen, seine Frau könnte sich selbst etwas antun und irgendwann war der restliche Urlaub aufgebraucht, unbezahlter Urlaub nicht geeignet, weil er in Anbetracht der nicht absehbaren Zeitstrecke weder ihm noch seinem Arbeitgeber die nötige Planungssicherheit bot. Also war er mit seinem Arbeitgeber übereingekommen, dass er vorläufig freigestellt wurde, mit der Option, mit einem gewissen Vorlauf wieder in den Betrieb aufgenommen zu werden. Damit konnte sich Werner Lamprecht auf sein privates Umfeld konzentrieren. Theoretisch hatte er damit aber auch den Freiraum, die Morde zu begehen. Und er hatte kein Alibi, weil weder seine Frau noch sein Sohn in der Lage waren, belastbare, glaubwürdige Aussagen über seinen Aufenthaltsort zu bestimmten Zeiten zu geben. Zwar gab es Nachbarn, die auch die wesentliche Quelle der so von den Bonner Ermittlern eingesammelten Informationen waren, aber eine kontinuierliche Beobachtung war durch die Nachbarn natürlich nicht gegeben. Insofern hatte Werner Lamprecht kein Alibi, wohl aber ein sehr starkes Motiv.

 

Und wollen sie mich jetzt verhaften?“, fragte Werner Lamprecht Hauptkommissar Warnecke provokativ, als der versuchte, ihn mit immer stärkeren Vorwürfen wegen seines fehlenden Alibis unter Druck zu setzen. „Wie sollte ich das bewerkstelligen? Ich kann meine Frau doch nicht allein lassen“.

 

Sie könnten sie sediert haben, wie sie auch die Opfer sediert haben“, provozierte Warnecke weiter.

 

Ich glaube, das ist jetzt der Zeitpunkt, an dem sie mein Haus verlassen oder mich mitnehmen sollten. So oder so werde ich ohne meinen Anwalt nichts mehr zu der Angelegenheit sagen“, sagte ihm Lamprecht mit sichtlicher Verärgerung.

 

Gut, derzeit habe ich noch keine Beweise. Noch nicht“, versuchte Warnecke seinen Gesprächspartner weiter zu verunsichern.

 

Hauptkommissar Warnecke und sein Kollege Berthold Bauer erhoben sich und gingen Richtung Wohnungstür, in sicherem Abstand von gut zwei Metern verfolgt von Werner Lamprecht.

 

Aber ich komme wieder. Und wenn sie etwas zu verbergen haben, ich kriege das raus.“ Mit diesem letzten Versuch hatte Warnecke sein Pulver aber verschossen.

 

Ich glaube nicht, dass er es war“, sagte sein Assistent Bauer.

 

Ich glaube es auch nicht. Aber die Familie hat nun einmal das stärkste Motiv. Jedenfalls aller mit der Lehrerin in Verbindung stehenden Personen, die wir bis dato aufgespürt und gesprochen haben. Und eine Gelegenheit hatte er auch. Also ist es zu früh, ihn aus dem Blick zu verlieren.“

 

Hausdurchsuchung?“, fragte Berthold Bauer.

 

Nein, wir werden nichts finden. Weder einen Richter, der uns einen Durchsuchungsbefehl ausstellt, noch irgendwelche Spuren, falls uns ersteres wider Erwarten doch gelingen sollte. So einen simplen Fehler wird der Täter kaum machen“, erläuterte Hauptkommissar Warnecke. „Aber um den Sohn müssen wir uns noch kümmern. Er hat keinen festen Wohnsitz. Wir sollten ihn zur Fahndung ausschreiben. Obwohl unser bisheriges Bild vom Täter eigentlich nicht viel mit ihm gemein hat.“

 

Er warf einen Blick auf die Uhr. 15:00 Uhr. Freitag Nachmittag. Noch Zeit genug für einen Besuch im Yoga-Zentrum.