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Fatebug - Tödliches Netzwerk 102

 

102.

 

 

 

Dieses Mal erwartet der Minister umsetzbare Vorschläge“. Sofern dies ein Versuch zur Motivation der Gruppe war, schien er zumindest gewagt. Da alle Teilnehmer bis auf Frau Dr. Meinhoff, die telefonisch zugeschaltet war, bereits an der vorherigen Besprechung teilgenommen hatten, waren den Teilnehmern auch der Ablauf und der Entscheidungsfindung der letzten Sitzung bekannt. Aber für eine Vergangenheitsbewältigung blieb keine Zeit. Die Sitzung war wichtig, das hatten ihre Chefs deutlich gemacht, hatten darauf bestanden, dass es ein Präsenzmeeting im Innenministerium sein musste, keine Telefonkonferenz. Nur für Frau Meinhoff, die Vertreterin der Bundesanwaltschaft, hatte man eine Ausnahme gemacht. Ihre Minister erwarteten ein Ergebnis, umsetzbare Vorschläge, noch heute.

 

Wie sie wissen ist Eile geboten“, begann Staatssekretärin Buhr ihren Teil der Motivation. „Die Bundesregierung ist besorgt, natürlich wegen der offenbar noch immer nicht beendeten Mordserie, aber noch mehr, weil der Mörder zu Aufruhr aufgerufen hat. Und wie uns die Ereignisse der letzten Nacht gezeigt haben, hatte er damit Erfolg. Es hat eine Reihe von körperlichen Übergriffen gegeben. Nach derzeitigem Kenntnisstand sind noch vier Opfer in stationärer Behandlung, fünf weitere mussten ambulant versorgt werden. Die meisten Überfälle wurden von Gruppen von drei bis vier Personen ausgeführt. In keinem der Fälle konnte bisher ein Täter ermittelt werden. Die Polizei befürchtet, dass dies erst der Anfang war. Ich denke, die Besorgnis der Bundesregierung ist mehr als begründet. Man erwartet von uns Vorschläge für Maßnahmen, um die explosive Stimmung möglichst kurzfristig zu beenden und zudem Vorschläge, um die Ursachen langfristig zu beseitigen. Wir alle sind mit einer Lage konfrontiert, mit der wir keine vergleichbaren Erfahrungen haben. Wir müssen uns folglich etwas einfallen lassen, müssen kreativ sein. Deshalb bitte ich sie auch quer zu denken, alle Vorschläge sind willkommen.“

 

Doch der Versuch der Staatsanwältin die Arbeitsatmosphäre zu retten, wurde von ihrem Abteilungsleiter sofort konterkariert.

 

Nur um sicher zu gehen und damit wir alle vom gleichen Wissensstand ausgehen, der Vorschlag den Nachrichtenverkehr während des Transports der Nachrichten im Zuständigkeitsbereich der Bundesrepublik abzufangen und zu analysieren, ist vom Tisch?“, fragte Wolfgang Ascher.

 

War das Schweigen eben eher als peinlich zu betrachten, so wurde es jetzt relativ eisig.

 

Erneut versuchte die Staatssekretärin das Treffen zu retten und die Diskussion in Gang zu bringen. „Ja und deshalb brauchen wir nun weitere Vorschläge“, sagte Vera Buhr. „Es gehört zu unserem Tagesgeschäft Vorschläge zu entwickeln, die die Bundesregierung dann nicht umsetzen will. Unsere Aufgabe besteht darin, ihr möglichst viele Vorschläge auf den Tisch zu legen, die sie umsetzen könnte. Und um die Aufgabe noch einmal klar zu machen. Es geht darum, die Autoren und Verbreiter von Hass-Mails besser identifizieren zu können, unrechtmäßige bzw. verletzende Einträge oder falsche Behauptungen schneller entfernen zu lassen bzw. zu solchen Einträgen Gegendarstellungen veröffentlichen zu müssen. Das sind die Probleme, zu denen unsere Minister Lösungsvorschläge erwarten. Von uns.“

 

Die Registrierung von Nutzern bei der Eröffnung eines Accounts bringt auch nichts“, konstatierte Brigitte Metzler, ebenfalls Abteilungsleiterin im Justizministerium. „Die meisten haben schon einen Account und die dazu gehörigen Identitäten kennen die Konzerne selbst nicht. Alles was sie haben, sind E-Mail-Adressen, die ebenfalls ohne Prüfung der Identität angelegt werden konnten. Ich wollte nur daran erinnern, was wir noch bereits ausgeschlossen hatten“, ergänzte sie als ihre Chefin sie zornig anblickte.

 

Wir könnten die Konzerne dazu verpflichten, sich bei allen Posts die IP-Adresse des Verfassers zu merken und diese bei Bedarf herauszugeben“, schlug Frau Metzler vor.

 

Das hilft uns leider nicht weiter“, kam die Stimme von Frau Dr. Meinhoff aus dem Telefonlautsprecher. „Alle Posts die von öffentlich zugänglichen W-LAN-Knoten gemacht werden, kommunizieren über die IP-Adresse des W-LANs. Wir kriegen also nur die Adresse des W-LAN-Betreibers, von Internet-Cafes zum Beispiel oder unvorsichtigen Privatleuten, die ihren Zugang nur unzureichend schützen. Fatebug hat seine Uploads auch nur über derartige Zugänge gemacht.“

 

Stellen wir das Thema mit der Identifizierung mal hinten an“, sagte Frau Buhr. „Konzentrieren wir uns auf Vorschläge zur Korrektur der veröffentlichten Inhalte“.

 

Das ist ja ein altes Thema. Darüber hatte der Bundesjustizminister ja bereits mit den Verantwortlichen gesprochen, worauf die Konzerne auch Verbesserungen versprochen hatten“, sagte Abteilungsleiter Ascher.

 

Ja, die Konzerne haben ja auch reagiert“, meldete sich Frau Dr. Meinhoff wieder. „Aber völlig unzureichend. Es wurden zwar Anlaufstellen für Korrekturanfragen eingerichtet, aber die Ergebnisse sind nicht zufriedenstellend. Ich erinnere daran, wie lange es gedauert hatte, als die Affäre Fatebug begann, bis die ersten Seiten gelöscht wurden. Mittlerweile geht das offenbar schneller. Vielleicht weil sie begriffen haben, dass diese Affäre nicht ohne Folgen für sie bleiben wird. Oder weil er sich die Chuzpe erlaubt hat, ihr Logo für seine Zwecke umzugestalten. Im Prinzip geht es also“.

 

Nur werden sie sich damit herausreden, dass sie täglich Millionen von Einträgen bekommen“, sagte Staatssekretär Schneider.

 

Erstens müssten sie ja nur auf die Einträge reagieren, über die sie Beschwerden erhalten. Das dürfte nur ein Bruchteil sein“, referierte Frau Buhr.

 

Zweitens können doch die Betreiber die Beiträge elektronisch auf unerwünschte Inhalte scannen. Das machen sie doch heute schon, nur nehmen sie für sich in Anspruch selbst entscheiden zu dürfen, was unerwünscht ist und was nicht. Darstellungen von weiblichen Brüsten werden ja konsequent verfolgt und getilgt. Hass und Gewalt gelten offenbar nicht als unerwünscht. Drittens, was das Mengenproblem angeht, so ist das einfach eine Frage der Investitionsbereitschaft. Für viel Arbeit braucht man viele Ressourcen. Das gilt für uns, das gilt für Fatelog und Konsorten“, ergänzte die Staatssekretärin.

 

Damit hätten wir doch einen ersten Vorschlag“, sagte Herr Ascher. „Das wir Einfluss auf die Kriterien für die unerwünschten Inhalte nehmen können“.

 

Dann müssen wir aber auch an der Prüfung und Auswertung beteiligt werden. Wir dürfen nicht den Anbietern überlassen, zu entscheiden, was in der Bundesrepublik erlaubt, unerwünscht oder verboten ist“, meldete sich Frau Meinhoff wieder über das Telefon.

 

Letzteres dürfte die Minister weniger begeistern. Wir müssten die Kosten für Ressourcen zahlen, die sogar den prächtig verdienenden Konzernen zu hoch sind“, wandte Schneider ein.

 

Wir könnten die Konzerne verpflichten, die Kosten zu tragen. Dadurch wären sie auch motiviert, die Algorithmen zur Suche möglichst perfekt zu gestalten. Um den Aufwand für die manuelle Überprüfung zu minimieren“, schlug Ascher vor.

 

Das reicht aber noch nicht“, ergänzte Frau Dr. Buhr. „Wir müssen die eingesetzten Algorithmen auch überprüfen können. Gefährlicher als fälschlicherweise als unerwünscht gefundene Einträge sind die Einträge, die unerwünscht sind, aber nicht gefunden werden“.

 

Dazu kann man notfalls auch Tests einsetzen. Indem wir behördenseitig manipulierte Beiträge hochladen und abwarten, ob sie gefunden werden“, sagte Ascher.

 

Da werden wir doch wieder mit dem Vorwurf, die Bürger auszuspionieren, konfrontiert“, bremste Staatssekretär Schneider.

 

Aber die Bürger publizieren ihre Texte doch freiwillig. Sie geben sie der Öffentlichkeit preis. Beziehungsweise vertrauen sie Konzernen an, ohne zu wissen oder kontrollieren zu können, was die Konzerne mit den Daten treiben. Damit haben wir doch gute Argumente für die sicher kommenden Diskussionen. Wir würden unsere Aktivitäten natürlich durch Datenschutzbeauftragte kontrollieren lassen“, entgegnete Frau Dr. Buhr.

 

Die Konzerne werden sicher wieder versuchen, mit der fehlenden Zuständigkeit zu argumentieren. Weil die Daten auf Servern im Ausland gespeichert werden“, wandte Frau Dr. Meinhoff ein.

 

Wir könnten sie zwingen, die Daten, die von in der Bundesrepublik lokalisierten IP-Adressen kommen, auf in der Bundesrepublik stationierten Servern zu speichern“, sagte Abteilungsleiter Ascher.

 

Dann kommen sie mit technischen Notwendigkeiten oder Restriktionen, die eine Speicherung im Ausland notwendig machen“, konterte Frau Meinhoff.

 

Dann zwingen wir sie, Kopien auf bei uns stationierten Servern zu hinterlegen. Und wir arbeiten nur auf den Kopien. Die Vollständigkeit prüfen wir gleich mit den Tests auf die Vollständigkeit der Berücksichtigung der Selektoren durch die Algorithmen“, ergänzte Ascher.

 

Ok“, resümierte Staatssekretär Schneider. „Damit hätten wir einen guten Vorschlag. Vielen Dank“.

 

Stopp“, fuhr ihm seine Kollegin Buhr in die Parade. „Wir haben noch andere Aspekte, die wir berücksichtigen sollten. Wie das Thema Widerruf oder Gegendarstellung“.

 

Hier fordern wir einfach eine Clearingstelle mit einer zugesicherten Reaktionszeit“. Der Vorschlag kam wieder von Wolfgang Ascher. „Wir fordern, dass Gegendarstellungen auf Anforderung von Betroffenen binnen 24 Stunden online sein müssen. Dabei gibt es noch einige Menge Details, zum Beispiel wie man prüfen kann, ob der sich beschwerende Nutzer, wirklich der Betroffene ist. Das kann aber man sicher lösen, zum Beispiel, wenn man die Beschwerdeführer zu einer Authentifizierung zwingt. Und das Thema Faktenprüfung muss sicher auch noch überdacht werden. Aber auch hier könnten wir uns kritische Fälle zur Entscheidung vorlegen lassen.“

 

Klingt gut“, stellte Vera Buhr fest. „Wenn wir dann noch fordern, dass Korrekturen an allen Stellen im Netzwerk gemacht werden, an denen die falschen oder unerwünschten Inhalte stehen, haben wir eine rundum zufriedenstellende Lösung. Derzeit finden Korrekturen ja nur an exakt einer Stelle statt, an der vom Beschwerdeführer genannten Seite. Für jede Seite ist bei einer Beschwerde derzeit ja noch ein eigener Antrag notwendig.“

 

Haben wir jetzt alles?“, fragte der Staatssekretär ungeduldig nach, darauf hoffend, dass die Frage nur noch rhetorischer Natur war.

 

Dann bitte ich den Kollegen Sobol die Vorschläge zusammen zu fassen“. Alle waren überrascht ,als der Staatssekretär seinen Abteilungsleiter ins Spiel brachte, machte er ihn dadurch doch erst existent. Er war zwar durchgehend anwesend, hatte bisher jedoch kein Wort gesagt.

 

Vielen Dank für das Angebot“, entgegnete Frau Dr. Buhr. „Aber ich denke, die Ausarbeitung von Gesetzesvorschlägen, und darauf läuft es ja hier hinaus, ist primär die Aufgabe des Justizministeriums. Und dieser Aufgabe kommen wir gerne nach. Ich denke, Herr Ascher wird das gerne übernehmen. Mein Minister meldet sich dann sicher bei ihrem Minister. Sie können ihm ja schon vorab berichten, dass das Justizministerium an vielversprechenden Vorschlägen arbeitet und kurzfristig entsprechende Vorlagen vorstellen wird. Meine Damen und Herren. Vielen Dank für die gute Arbeit“.