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Fatebug - Tödliches Netzwerk 60

 

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Die Sekretariate des BKA, LKA, der Polizeipräsidien und der Kölner Staatsanwaltschaft hatten eine Höchstleistung vollbracht. Nur so ist es zu erklären, dass es bereits knappe zwei Stunden, nachdem der Profiler Sehlmann seinen Kollegen seine Theorie dargelegt hatte, zu einer Telefonkonferenz mit nahezu allen Beteiligten kam. Sie hätten es sogar noch früher geschafft, wenn Oberstaatsanwältin Förster nicht einen Termin bei Gericht gehabt hätte, der ihre Teilnahme erst am frühen Nachmittag möglich machte. Doch nun waren sie alle zugeschaltet, Hauptkommissar Faber vom BKA übernahm die Begrüßung und Einleitung und übergab das Wort dann an Kommissar Sehlmann.

 

Bevor ich ihnen unsere Theorie darstelle, möchte ich vorweg schicken, dass sie es für das nehmen, was es ist. Eine Theorie. Diese basiert natürlich auf unseren bisherigen Ermittlungsergebnissen, enthält aber einige bisher nicht durch Fakten belastbare Aussagen. Wir vermuten, dass es dem Täter darum geht, Menschen zu bestrafen, deren Posts in den sozialen Netzwerken ursächlich oder zumindest förderlich für Ereignisse waren, bei denen Menschen zu Schaden kamen. Ein Mord oder Totschlag im Zusammenhang mit dem Kölner Fall, jeweils Suizide in Bonn und Hamburg. Das Rache- oder Hassmotiv wird gestützt durch mehrere Faktoren. Erstens hat der Täter zumindest zwei der Opfer bedroht oder gewarnt. Durch einen Eintrag auf ihren Fatelogseiten: „Die Rache ist mein; ich will vergelten“. Zweitens die Art und Weise, wie er die Opfer zugerichtet hat. Er hat ihnen, bitte verzeihen Sie meine Ausdrucksweise, aber wir vermuten, dass dies seine Botschaft ist: „mit ihrer eigenen Scheiße das Maul gestopft“. Und zuletzt durch den Nutzernamen den er sich zugelegt hat: Fatebug. Mit etwas Vorstellungskraft kann man das als Hinweis nehmen, dass die Posts der Opfer schicksalhafte Fehler waren. Auch für sie selbst.

 

Aber Hater zu bestrafen, ist nur eines seiner Motive. Es geht ihm auch darum, Hatern Angst einzujagen oder uns dazu zu bringen, etwas gegen Hater zu tun. Deshalb geht er an die Öffentlichkeit. Deshalb die in das Internet hochgeladenen Videos von der Tat, deshalb die Informationen an die Presse. Auch deshalb die Warnungen an die späteren Opfer. Er will, dass wir Fatelog unter Druck setzen oder öffentlich brandmarken, damit die Firma etwas gegen Hassposts unternimmt. Und dazu nutzt er auch die Presse. Der zweite Satz des Posts von heute Morgen „Sei nicht schnellen Gemütes zu zürnen; denn Zorn ruht im Herzen eines Narren“ ist eine Aufforderung an die Presse selbst zu recherchieren. Denn wenn sie sich die Mühe gemacht hätten, sich die bisherigen Informationen genauer anzuschauen, hätten sie die Warnposts gefunden, die Motivation des Täters verstanden und Panik gemacht.

 

Und das wird jetzt nicht mehr lange dauern, denn der ein oder andere Journalist wird den Hinweis verstehen. Und man wird uns die Frage stellen, ob wir nicht alles unternommen haben, um weitere Morde zu verhindern. Oder zumindest weitere potentielle Opfer zu warnen.

 

Dass der Täter intelligent ist und, sehen sie mir meine Ausdrucksweise bitte nochmals nach, sein Geschäft versteht, ist uns allen sehr bewusst. Das bedeutet, er wird es uns nicht nur schwer machen ihn zu fassen, er wird auch weiterhin versuchen, die Regie zu führen. Er wird uns in der Öffentlichkeit vorführen. Und uns immer wieder überraschen. So weit, so schlecht. Wenn sie Fragen haben, bitte sehr.“

 

Statt Fragen gab es erst einmal eine Phase eines längeren betretenen Schweigens.

 

Seit wann wissen wir, dass dieser Fatebug seine späteren Opfer gewarnt hatte“, wollte Kriminalrat Brandt wissen.

 

Seit dem letzten Mittwoch. Heute ist Dienstag. Also seit ungefähr sechs Tagen“, antwortete Hauptkommissar Faber.

 

Wann haben wir die Anfragen an Fatelog gestellt?“

 

Unmittelbar danach“, war Fabers Antwort.

 

Und auf dem Account des Hamburger Opfers gab es keinen Post von diesem Fatebug?“, hakte der Kriminalrat nach.

 

Nein, wir haben keinen gefunden“.

 

Dann kann man uns zumindest juristisch nichts vorwerfen. Aber das wird uns natürlich nicht aus der Schusslinie der Presse bringen“, resümierte Kriminalrat Brandt. „Also was tun wir?“.

 

Ich möchte darauf hinweisen, bei allem Verständnis über die Sorge der Kollegen über unser Bild in der Öffentlichkeit, dass wir noch einen Mord aufzuklären haben. Geschweige denn potentielle weitere Morde zu verhindern haben“, bemerkte Oberstaatsanwältin Dr. Förster. „Wie und in welche Richtung laufen denn die aktuellen Ermittlungen?“.

 

Wir suchen über Opfer von Selbstmorden und Morden nach Angehörigen, die ein Motiv haben könnten“ berichtete Hauptkommissar Faber. „Vorerst konzentrieren wir uns auf Vorfälle in NRW, aber auch das sind über 2000 Fälle. Ob das zum Erfolg führen wird? Keine Ahnung. Zumindest dürfte es dauern. Darüber hinaus versuchen wir, im Umfeld der Opfer Ermittlungsansätze zu finden. Eine auch nur annähernd heiße Spur haben wir nicht. Und ehrlich gesagt auch keine bessere Idee“.

 

Dann müssen wir die Öffentlichkeit warnen“, sagte die Oberstaatsanwältin. „Ich werde noch einen Versuch unternehmen, auf Fatelog wegen der Anfragen Druck zu machen. Ich denke nach den heutigen Schlagzeilen werden wir mit der Unterstützung des Innenministeriums und der Bundesanwaltschaft rechnen dürfen. Wenn wir bis morgen früh keine Antworten haben, gehen wir mit einer konkreten Warnung und einem Aufruf an die Öffentlichkeit. Eine Pressekonferenz brauchen wir so oder so. Allein schon um die hunderte von zu erwartenden Einzelanfragen von Journalisten zu vermeiden. Herr Paulsen lassen sie das in bewährter Manier über das BKA organisieren. Sagen wir um 10:00 Uhr. Ich werde versuchen morgen selbst anwesend zu sein, sofern ich einen konkurrierenden Gerichtstermin verlegen kann. Ansonsten wird mich Dr. Werner vertreten. Wenn es ihnen recht ist, klinke ich mich jetzt aus. Ich muss sehen, dass ich den Staatssekretär erwische“.

 

Ich glaube, wir sind sowieso durch“, bemerkte Kriminalrat Paulsen. „Ich kümmere mich dann mal um die Pressekonferenz. Wir brauchen alle, die auch gestern auf dem Podium waren. Danke meine Damen und Herren“.