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Fatebug - Tödliches Netzwerk 61

 

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Es dauerte bis zum frühen Abend bis das Telefonat zustande kam. Zuerst hatte es annähernd zwei Stunden gebraucht, bis sie den Staatssekretär erreichte. Er erkannte die Brisanz der Lage auf der Stelle, teilte der Oberstaatsanwältin mit, dass sie von der Bundesanwaltschaft angerufen werden würde und dass er eine Telefonkonferenz mit Ansprechpartnern bei Fatelog kurzfristig würde organisieren lassen. Diesbezügliche Bemühungen ihrerseits wären nicht erforderlich.

 

Bis zum Anruf von Frau Dr. Meinhoff dauerte es keine 5 Minuten. Bis zum ersten Anruf. Der zweite Anruf erfolgte ca. eine Stunde nachdem sie der Bundesanwältin die Sachlage und die Ermittlungshypothese geschildert hatte. Nun war es ein Fall für die Bundesanwaltschaft. Frau Dr. Meinhoff würde morgen früh gegen 9:00 Uhr im Büro der Oberstaatsanwältin vorstellig werden. Zudem würde sie persönlich an der Telefonkonferenz mit den Fatelogvertretern teilnehmen.

 

Nun war es soweit. Der Staatssekretär stellte nochmal alle Beteiligten einander vor: Frau Dr. Meinhoff von der Bundesanwaltschaft, Frau Barwinski die in Berlin aktive Lobbyistin von Fatelog und Herr Gassmann einer der Geschäftsführer von Fatelog in Deutschland, sowie Oberstaatsanwältin Frau Dr. Förster. Anschließend bat er Frau Förster nochmals, die aktuelle Situation zu skizzieren.

 

Und was erwarten sie von uns?“, fragte Herr Gassmann, nachdem Frau Förster ihren Bericht beendet hatte.

 

Dass sie uns alle verfügbaren Daten der Accounts der drei Opfer und des Nutzers mit dem Namen Fatebug zur Verfügung stellen. Zudem sollen die betreffenden Accounts gesperrt werden. Last but not least brauchen wir alle Posts, die von den Nutzer mit dem Account Fatebug je verschickt wurden. Auch alles ,was zwischenzeitlich vielleicht gelöscht wurde, intern aber noch gespeichert ist“, antwortete die Oberstaatsanwältin.

 

Wir tun was wir können“, entgegnete Herr Gassmann. „Aber wie sie wissen, haben wir unseren Nutzern Zusagen bezüglich der Vertraulichkeit ihrer Daten in unseren Anwendungen gegeben. Einerseits gibt es immer wieder Gründe oder Begehrlichkeiten, diese Daten zur Verfügung gestellt zu bekommen, andererseits müssen wir das Vertrauen unserer Nutzer aufrechterhalten. Deshalb haben wir einen strikten Prozess etabliert, um entsprechende Anfragen, unter intensiver Abwägung der jeweiligen Situation, kontrolliert zu bearbeiten. Aber bitte verstehen Sie, dass die Vertraulichkeit bei uns höchste Priorität hat“.

 

Drei der Benutzer, um die es geht, sind tot. Der vierte ist wahrscheinlich keine reale Person, sondern ein Serienmörder. Welche Persönlichkeitsrechte meinen sie schützen zu müssen?“, hakte die Oberstaatsanwältin nach.

 

Wir müssen vorsichtig und sorgfältig agieren. Um zu prüfen, ob die jeweiligen Anfragen berechtigt sind, gibt es ja das standardisierte Anfrageverfahren. Und wenn sie die Anfragen korrekt stellen und die erforderlichen Legitimationen vorlegen, werden ihre Anfragen sicher auch bearbeitet“, verteidigte sich der Geschäftsführer.

 

Das haben wir getan“, entgegnete die Oberstaatsanwältin, „trotzdem sind unserer Anfragen bisher nicht beantwortet. Seit über einer Woche. Lediglich die Videos der Morde wurden gelöscht. Wie der Stand in Bezug auf die anderen Aspekte ist, wissen wir nicht. Wir kennen auch niemanden, außer Ihnen und ihrem irischen Kollegen, bei dem wir nachfragen könnten. Da ihr Kollege offenbar nur schwer erreichbar ist, müssen wir uns an sie halten“.

 

Ich will Ihnen ja auch gerne helfen“, antwortete der Geschäftsführer. „Aber ich habe auch keinen großen Einfluss. Die Prozesse sind verbindlich, die Bearbeiterteams sitzen in den Vereinigten Staaten. Ich kann versuchen, die Dinge zu beschleunigen, versuchen mit meinen Kollegen in Irland zu sprechen. Versprechen kann ich Ihnen allerdings nichts, außer ihnen raten, Geduld und Vertrauen zu haben“.

 

Und abwarten, dass dort draußen ein Serienmörder weitere Taten begeht?“. Die Stimme der Oberstaatsanwältin hatte mittlerweile deutlich an Lautstärke zugelegt.

 

Wenn ich sie richtig verstanden habe, sind sie doch noch gar nicht sicher, dass die Morde mit unserem Unternehmen bzw. seinem Angebot in Zusammenhang stehen. Zumindest bei einem Opfer hat es laut ihrer Äußerungen doch gar keine Drohung gegeben. Und nun erwarten sie, dass wir nur aufgrund ihrer noch vagen Vermutungen unsere Geschäftsprinzipien aufgeben und das Vertrauen unserer Kunden missbrauchen?“, rechtfertigte Gassmann das Verhalten seines Arbeitgebers.

 

Nun, den Zusammenhang zu prüfen“, machte der Staatssekretär dem Manager deutlich, „war ja eine der Anfragen, die wir an ihre Kollegen gestellt hatten“.

 

Es ist doch unser gemeinsames Ziel, die Angelegenheit schnell abzuschließen“, mischte sich jetzt auch Frau Barwinski ein. „Aber wie mein Kollege schon sagte. Erstens müssen wir sensibel vorgehen, zweitens ist das keine Entscheidung, die wir hier in Deutschland für unser Unternehmen treffen können. Wir werden die Angelegenheit nochmals bei unseren Kollegen in der Europazentrale in Irland forcieren, mehr können wir vorerst nicht tun. Und viel Hoffnung möchte ich Ihnen da auch gar nicht machen. Sie kennen sicher die Fälle aus der jüngeren Vergangenheit, in denen US-Unternehmen auch dem FBI konkrete Anfragen nicht beantworten konnten“.

 

Sie nehmen somit billigend weitere potentielle Opfer in Kauf“, startete Frau Dr. Förster noch einen letzten Versuch.

 

Diese Ansicht können wir nicht teilen. Ich denke, wir haben alle Facetten diskutiert. Wenn sie keine weiteren Fragen oder Anliegen haben, bitte ich sie mich zu entschuldigen. Ich habe noch einige weitere Termine. Bei Bedarf stehe ich Ihnen natürlich auch weiter gerne zur Verfügung“. Mit dieser Abfuhr beendete Dieter Gassmann seine Teilnahme an der Konferenz.

 

Gut, dann bedanke ich mich noch bei Ihnen Frau Barwinski“, sagte der Staatssekretär. „Auch ich habe noch einige Angelegenheiten zu erledigen. Ich schlage vor, wir belassen es vorerst dabei und telefonieren wieder, sobald dies hilfreich sein könnte. Frau Dr. Meinhoff und Frau Dr. Förster, mit ihnen würde ich gerne später nochmals telefonieren. Meine Sekretärin wird sich wegen der Organisation des Termins mit ihnen in Verbindung setzen“.

 

Noch während er die Teilnehmerinnen dabei waren, sich zu verabschieden, verspürte er ein wohliges Gefühl. Der Termin war sehr gut verlaufen. Vollständige Kooperation wäre das letzte gewesen, was das Ministerium hätte brauchen können. Damit wäre es unmöglich geworden, den Fall publizistisch als Präzedenzfall zu nutzen. Und ein Präzedenzfall mit landesweiter Medienpräsenz war gut geeignet, den Druck auf Fatelog generell zu erhöhen. Es gab ja nicht nur den konkreten Fall, neben den Hasspostings war der Politik ja auch das Thema „Fakenews“ ein Dorn im Auge. Schon mehrmals hatten sie vergeblich versucht, hier Änderungen seitens der Betreiber der sozialen Netzwerke, insbesondere bei Fatelog, zu erreichen. Jetzt hatten sie eine bessere Chance, mit der Wut und der Angst der Öffentlichkeit im Rücken. Er musste noch dafür Sorge tragen, dass die Beteiligten die Chance auch nutzten. Dabei würde er sie unterstützen.