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Fatebug - Tödliches Netzwerk 66

 

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Zufrieden waren die Ermittler nicht. Zumindest wenn man die wahrscheinliche Nähe zum Täter zum Maßstab nimmt. Der Berg der zu untersuchenden Informationen wuchs beständig. Mittlerweile hatten sie zumindest, jedenfalls hofften sie das, alle für die Untersuchung notwendigen Dokumente. Alles über Morde und Selbstmorde in der Köln/Bonner Gegend was sie hatten kriegen können. Ihre Erwartung, eher Befürchtung hatte sich bestätigt. Über 2000 Fälle. Und der schwierige Teil kam erst noch. Eigentlich waren sie froh, so lange sie noch sammeln konnten. Dabei bewegten sie sich noch auf sicherem Terrain. Doch jetzt, wo sie alles hatten, mussten sie suchen. Aber wonach? Sie saßen nun schon seit über einer Stunde zusammen. Hauptkommissarin Garber, ihre Kollegen Faber, Strecker, Warnecke, Kommissar Marten sowie Klaus Sehlmann, der Fallanalytiker. Aber noch immer hatten sie keine Vorstellung, davon wonach sie suchen mussten. Ok. Sie suchten nach einem Mann mittlerer Größe. Aber in welcher Beziehung stand dieser Mann zu dem Berg von Informationen, die sie in den letzten Tagen zusammengetragen hatten. War er Vater, Ehemann, Freund?

 

Wie sollte man denn Freunde erkennen? Durch Befragungen natürlich. Aber in mehr als tausend Fällen. Und würde man den Täter nicht unweigerlich warnen, wenn man in seinem Umfeld ziellos Personen befragte? Ihn vielleicht sogar persönlich befragte, ohne Ahnung, wen man da letztlich vor sich hatte.

 

So können wir nur auf einen riesigen Glücksfall hoffen. Wobei noch nicht einmal sichergestellt ist, dass wir ihn als solchen erkennen würden“, sagte Hauptkommissar Faber beinahe resignierend.

 

Wir brauchen zusätzliche Ansätze.“

 

Was ist mit dem schwarzen Bus?“, fragte Hauptkommissar Warnecke.

 

Wir wissen ja noch nicht einmal mit Sicherheit, ob er schwarz war. Schwarz, glaube ich, hat der Zeuge gesagt. Er könnte genauso gut dunkelblau, dunkelgrau oder was auch immer gewesen sein“, erläuterte Kommissar Sehlmann.

 

Auf den Hamburger Kameraaufzeichnungen haben wir bisher noch nichts Verwertbares entdeckt. Aber das will nichts heißen, denn auch hier geht es um viele hundert Stunden Filmmaterial. Und wir haben das getestet. Ein vorbeifahrendes Fahrzeug wird, je nach Geschwindigkeit, von der Kamera nur für 0,5 bis gut eine Sekunde erfasst. Da können wir auch den Schnellvorlauf nur sehr dosiert einsetzen. Zudem haben wir einen weiteren Ort, den wir bei der Suche berücksichtigen müssen. Das klingt erst einmal gut, hat aber auch seine Schattenseiten. Sie waren ja heute Morgen auf der Pressekonferenz, wahrscheinlich wissen sie es noch gar nicht. Wir haben den Ort, besser gesagt die IP-Adresse von der das Video am gestrigen Morgen, das mit den Aufnahmen vom Gespräch unserer Kollegen am Kölner Tatort, gesendet wurde.“

 

Alle sahen Kommissar Marten verblüfft an.

 

Es kam über den Server aus der Werkstatt neben dem ersten Fundort. Ja genau“, fuhr einer nach einer kurzen Pause fort. „Er muss zum Tatort bzw. in die Nähe zurückgekehrt sein, hat sich in das WLAN-Netz des Handwerkbetriebs eingewählt und das Video hochgeladen. Diese Chuzpe. Und dieser Idiot von Inhaber der Werkstatt hatte noch nicht einmal sein Netzpasswort geändert. Wenn das die Presse erfährt, werden wir zum Gespött im Land. Und natürlich müssen wir uns jetzt auch die verfügbaren Videoaufnahmen ansehen, die von Kameras in der Nähe der Werkstatt aufgenommen wurden. Auf dem Gelände selber gibt es keine Kameras. Jedenfalls nicht in unmittelbarer Nähe des Fundortes oder auf dem Weg von der Einfahrt dorthin. Aber ein Dutzend Verkehrskameras auf den Zufahrtsstraßen zum Industriegelände gibt es schon. Wir haben also Unmengen von Material, aber wieder keine konkreten Anhaltspunkte. Wir werden Tage brauchen, um das alles zu sichten. Trotz der vielen Leute. Und etliche Beamte von den regionalen Behörden recherchieren ja noch immer vor Ort. Suchen nach weiteren potentiellen Zeugen und nehmen deren Aussagen auf. Und was morgen auf uns zurollt, nachdem die Medien über die PK von heute Morgen berichten, sollte uns allen klar sein.“

 

Optimismus klingt anders“, dachte sich Hauptkommissar Faber. Aber ihm ging es nicht anders. Er hatte auch keine Ahnung was sie noch tun konnten, um die Bestie zu fassen. Ein Fall wie dieser war ihm noch nicht untergekommen. Nicht in den mittlerweile 12 Jahren beim BKA und auch nicht in den Jahren vorher, zuerst bei der Kripo in München, dann in Stuttgart. Sicher, es hatte andere Fälle gegeben, die zu Anfang ähnlich hoffnungslos ausgesehen hatten. Auch hier hatte es Zeit gebraucht um Spuren zu finden, sie zu verfolgen und zu bewerten. Aber etwas war immer anders gewesen. Das zu untersuchende Umfeld war kleiner, weil das Motiv persönlicher war. Der Täter hatte Fehler gemacht, Spuren hinterlassen. Dieser Fall war einzigartig. Und der Zeitdruck war immens.

 

Nur auf Basis ihrer Erfahrung würden sie hier nicht weiter kommen. Aber wie sonst. Was sollte er den Kollegen sagen. Er hatte keine Idee.

 

Und die bekommen wir anscheinend auch nicht aus diesem Team“, dachte sich Faber. Das Schweigen, das die einzige Antwort auf seinen Aufruf war, schien diesen Gedanken zu bestätigen.

 

Überhaupt hatte er Zweifel, ob die derzeitige Zusammenstellung des Teams überhaupt nützlich war. Sicher die Zusammenarbeit mit Frau Garber funktionierte, der Fallanalyst war unverzichtbar, aber die beiden Hauptkommissare aus Köln und Bonn hatten ihn bisher nicht überzeugt. Sie taten sich schwer mit dem Thema Informationstechnologie, das aber in Bezug auf Ermittlungsschwerpunkte und Fähigkeiten bei der Ausführung wesentlich war. Strecker war dazu noch unbeherrscht, ein Risiko bei einem so heiklen Fall, der unter scharfer Beobachtung der Medien stand. Warnecke war hingegen viel zu zurückhaltend, leistete im Rahmen seiner Möglichkeiten zwar solide Arbeit, blieb aber im Tempo hinter den technikaffineren jungen Kollegen zurück. Wahrscheinlich würden die Kollegen bei den Ermittlungen in ihren angestammten Revieren bessere Arbeit leisten können. Er würde mit seinem Chef und Frau Garber darüber sprechen müssen.