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Fatebug - Tödliches Netzwerk 73

 

73.

 

 

 

Sie war schon auf der Heimfahrt und eigentlich ziemlich müde. Trotzdem, das Telefonat musste sie noch annehmen. Sie hatte Hauptkommissar Faber schon heute nachmittags auf den Abend vertrösten müssen. Einerseits hatte sie keine Zeit gehabt, andererseits hatte sich in den wenigen Sätzen, die sie trotzdem gewechselt hatten, abgezeichnet, dass es bis zum Abend noch neue Erkenntnisse und Aspekte geben würde, die von erheblicher Relevanz sein dürften.

 

Es war eine gute Entscheidung sich auf heute Abend zu vertagen“, eröffnete Hauptkommissar Faber das eigentliche Gespräch. „Wir haben mittlerweile über 80 Selbstanzeigen, die wir derzeit als echt einschätzen. Ich habe keine Ahnung, wie wir diese Menge von Personen rund um die Uhr schützen können. So viel Personal haben wir nicht, wir bräuchten allein dafür ja weit über 200 Beamte. Hauptkommissar Strecker war im Übrigen der Ansicht, dass wir die Personen gar nicht schützen brauchen, da der Täter ja damit gerechnet hatte. Was halten Sie davon?“.

 

Wahrscheinlich hat er Recht“, antwortete Frau Dr. Förster, „aber wir haben den Menschen Schutz versprochen. Leider können wir sie nicht einfach verhaften lassen. Obwohl das bei vielen wahrscheinlich angebracht wäre. Rufen Sie ihren Chef an. Er soll versuchen in Abstimmung mit den lokalen Behörden an den Wohnorten der Betroffenen Lösungen zu finden. Wir sollten den Menschen Polizeischutz anbieten. Diejenigen die ihn ablehnen, müssen das selbst verantworten. Ich hätte nie gedacht, dass es so viele sind. Er hat sich echt große Mühe gegeben. In vielen Dingen. Es gab heute Nachmittag einen Termin im Innenministerium. Mit Vertretern von Fatelog. Auf einmal haben sie Zeit. Viel gebracht hat es allerdings noch nicht. Sie wollen oder wie sie es ausdrücken können, allerdings nicht vollumfänglich kooperieren. Das bedeutet, dass wir vorläufig wohl nicht mit weiteren Informationen von denen rechnen können. Als Staatssekretär Schneider sie auf die augenscheinlich schleppende Abarbeitung unserer Anfragen hinwies, hatte der Geschäftsführer sogar die Chuzpe, einen Vergleich zur Situation in unserem Gerichtswesen zu ziehen. Der Staatssekretär war auf hunderachtzig. Nützt aber nichts. Die Damen und Herren sitzen hoch zu Ross, wähnen sich unangreifbar. Und leider, wenn man die aktuelle Rechtslage betrachtet und daran komme ich als Staatsanwältin wohl kaum vorbei, zu Recht. Wenn die Politik das ändern will, wird das ein langer Weg. Da drängt sich gleich der nächste Vergleich auf“.

 

Es gibt noch weitere Probleme“, meldete sich der Hauptkommissar zurück. „Einige Scherzbolde haben die Morde nachgestellt, gefilmt und die Aufnahmen in das Netz gestellt. Die meisten haben wir schon geschnappt und die Videos entfernt. Aber nicht alle. Ich brauche ihnen ja nicht zu sagen, was das für die Ermittlungen bedeutet. Noch mehr Chimären, denen wir hinterherlaufen müssen. Und dann die ganzen Trittbrettfahrer. Hunderte. Wir müssen das stoppen. Sie müssen das stoppen. Sonst können wir die Ermittlungen mangels verfügbarer Beamter ganz vergessen. Strecker und Warnecke ermitteln übrigens wieder in ihren Revieren vor Ort. Hauptkommissar Streckers Idee, zumindest teilweise. Wir gehen ja davon aus, dass der Mörder durch ein tragisches Ereignis, durch irgendein Hassmail oder etwas Ähnliches ausgelöst, motiviert wurde. Und Strecker hat uns davon überzeugt, dass der Täter diese Person auf jeden Fall zur Rechenschaft ziehen wird. Also muss der Täter im Umfeld der Mordopfer zu finden sein.“

 

Klingt logisch. Hoffen wir, dass er recht behält. Informieren sie mich, wenn es etwas Neues gibt? Danke und einen schönen Abend noch“.

 

Bevor Hauptkommissar Faber antworten oder sich wenigstens noch verabschieden konnte, hatte sie das Gespräch schon beendet.

 

Sie war müde, hatte aber noch etliche Kilometer zu fahren. Die Nacht war finster, die Straße reflektierte die Lichter der entgegenkommenden Fahrzeuge, an die Monotonie des Lichtkegels, den ihre eigenen Scheinwerfer auf die Straße warfen, hatte sie sich schnell gewöhnt. Hin und wieder fegte der Wind Blätter vor das Auto. Sie musste sich mehr auf die Straße konzentrieren als ihr lieb war.

 

Trotzdem ließen sie die Worte des Staatssekretärs nicht los, kreisten in ihrem Kopf, dominierten ihre Gedanken. Schon lange war ihr ihr politisches Engagement wichtiger geworden als ihr berufliches Vorankommen. Sie war jetzt Mitte 40, Oberstaatsanwältin, was konnte sie denn auch noch erwarten? Den Alltag empfand sie als zermürbend. Zu viel Arbeit, zu wenig Ressourcen, sich ewig dahinschleppende Verfahren mit dem Ergebnis, dass das Ende des Prozesses meist der Beginn der Revision war. Der Geschäftsführer von Fatelog hatte nicht ganz unrecht. Ein unabhängiges, faires Justizsystem hatte seinen Preis, wie, das zeigte der aktuelle Fall, auch Meinungsfreiheit ihren Preis hatte. Doch derzeit hatte sie häufiger Zweifel, ob man sich diesen Preis noch lange würde leisten wollen, leisten können. War es früher anders, einfacher oder wurden die Schwierigkeiten der Vergangenheit nur vergessen, verdrängt? Aus dem System heraus konnte sie nichts mehr ändern. Sie hatte versucht, ihre Ideale nicht zu verkaufen, war sich treu geblieben, sich nicht verbogen, hatte trotzdem Karriere gemacht. Doch egal wie sie sich auch engagierte, die Maschinerie konnte sie nicht beeinflussen, das Tempo regulierte sich von selbst.

 

In der Politik war das anders gewesen. Sie war schon seit dem Studium in der Union, hatte ihren Mann auf einer Parteiveranstaltung kennen gelernt. Er studierte auch Jura, auch in Köln, seltsamerweise hatten sie sich an der Uni nie getroffen. Sie hatten sich dann in der Kölner Kommunalpolitik, dann auf Landesebene engagiert, nicht zu sehr, sie wollten ja nichts werden, nur etwas bewirken. Erfolge waren auch hier Mangelware, aber sie fühlte sich nicht so machtlos, denn ihre Partei war ja in der Opposition. Noch. Und nach den nächsten Landtagswahlen bestand die Chance, das ändern zu könnten. Dann wollte sie dabei sein, doch dazu brauchte sie einen guten Listenplatz. Dafür konnten Beziehungen nicht schaden.

 

Was wohl ihr Mann, nein mittlerweile Ex-Mann wohl machen würde. Sein politischer Eifer war mit der Zeit erloschen, wie ihre Liebe, gelöscht durch andere Interessen, stetige Versuchungen und beruflich bedingte Trennungen. Irgendwann hatte er sich dann für eine andere entschieden. Obwohl es zu erwarten war, hatte es doch wehgetan. Seitdem er in eine Berliner Kanzlei gewechselt und umgezogen war, war der Kontakt nahezu abgebrochen. Gut so, sie vermisste ihn nicht, sie hatte eine neue Leidenschaft.

 

Gott sei Dank, hatte es die Bundesanwaltschaft zuerst abgelehnt, den Fall an sich zu ziehen. Er hatte ihr Gelegenheit gegeben, in das Licht der Öffentlichkeit zu treten. Sie bekannt gemacht, ihren Namen in die Zeitungen, ihr Gesicht sogar in das Fernsehen gebracht. Ihr einen intensiven Kontakt zur obersten Ebene des Innenministeriums ermöglicht. Und natürlich wurde auch mit dem Justizminister gesprochen, zwar nicht mit ihr, aber über sie.

 

Nun lag die Verantwortung beim Generalbundesanwalt. Das war auch wichtig, denn sie war sich nicht sicher, dass sie den Fall schnell würden lösen können. Da war es schlecht noch länger im Rampenlicht zu stehen. Und im nächsten Jahr standen Bundestagswahlen an. Bis zum Wahltermin war es zwar noch fast ein ganzes Jahr, aber die Entscheidungen wurden früher getroffen, die Listenplätze früher vergeben. Und für Verlierer war kein Platz, nicht in der Politik, nicht auf den Listen.