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Fatebug - Tödliches Netzwerk 74

 

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Wir haben eine neue Eskalationsstufe erreicht“, berichtete Hauptkommissar Faber auf der morgendlichen Telefonkonferenz. „Wir wissen von zwei Fällen, in denen Hater von anderen körperlich bedroht und verletzt wurden. Ein Fall in Duisburg, wo drei maskierte Männer einen anderen Mann zusammengeschlagen haben. In Berlin wurde eine Frau von einem Pärchen überfallen. Der Mann hat sie festgehalten, die Frau hat ihr blaue Lackfarbe auf das Haar gesprüht. In beiden Fällen ist laut Aussage der Opfer der Name „Fatebug“ gefallen. Wenn das nicht bei diesen beiden Fällen bleibt, haben wir ein Riesenproblem.“

 

Sind wir denn sicher, dass die Überfälle wirklich etwas mit der Mordserie zu tun haben?“, wollte Oberstaatsanwältin Dr. Förster wissen.

 

Ob der Name „Fatebug“ wirklich gefallen ist, können wir natürlich nur glauben. Unbestritten ist aber in beiden Fällen, dass es frühere Hastpostings durch die Opfer gegeben hat. Und trotzdem sind sie zu uns gekommen. Also wahrscheinlich ist da was dran“, antwortete Kommissar Marten. „Wir untersuchen die Überfälle natürlich mit Hochdruck durch die entsprechenden Dezernate der Kripo vor Ort. Wir müssen einfach befürchten, dass es, wenn die Presse das mitbekommt und aufbereitet, zu noch mehr Panik und Nachahmern kommt. Dann ist der Weg in den wilden Westen nicht mehr weit.“

 

Sonst was Wesentliches?“, fragte Hauptkommissar Faber in die Runde.

 

Wir glauben nicht, dass wir über das persönliche Umfeld des Kölner Opfers weiter kommen. Wir haben gestern nochmals mit seiner, sagen wir Witwe, gesprochen. Offenbar kannte er den Mann, den er denunziert hatte gar nicht. Wir konzentrieren uns jetzt auf das Umfeld des erschlagenen Fußballers. Aber der kam aus Marokko, war Asylbewerber, hatte außer dem Fußballclub und Behörden nur wenige integrative Kontakte. Bleiben Familie, Freunde und Wohnort. Familienangehörige in der Region hatte er offenbar nicht. Er wohnte in einer Unterkunft mit vielen anderen Asylanten. Viele Nationalitäten, viele Sprachen, wenig Zutrauen zur Polizei. Ich brauche ihnen nicht zu sagen, was das für die Ermittlungen bedeutet. Aber ich glaube nicht, dass wir dort den Täter finden werden. Denn der hat Geld, ist mobil und kennt sich mit den Verhältnissen und Problemen der deutschen Behörden aus. Kommissar Lohr wird sich mit unseren Beamten weiter durch den Dschungel kämpfen. Aber wenn sie mich fragen: Ja, ich denke nach wie vor, dass die Spur zum Täter über seine Beziehung zu einem der Opfer führt. Aber Köln ist raus“.

 

Hauptkommissar Warnecke?“, sagte Faber und gab damit den Staffelstab an die Bonner Ermittler weiter.

 

Warnecke wurde überrascht und aus seinen Gedanken gerissen. Er war froh, dass er die Fahndungsgruppe in Meckenheim hatte verlassen und in sein angestammtes Revier hatte zurückkehren können. Im Kreis der anderen hatte er sich nie wohlgefühlt, zwischen den jungen übermotivierten Kollegen und den sogenannten alten Hasen. Vor Arroganz oder Erfahrung strotzend, dabei aber müde und frustriert, wie ein mittelmäßiger Marathonläufer beim Einlauf in das Stadion. Müde, keuchend, sich selbst einredend, dass man noch dabei war, aber durch die zwinkernden, mit vom Schweiß getränkten Augen erkennend, dass das Klassement schon lange auf der Anzeigentafel prangte, sogar die Lorbeeren schon verteilt waren. Er war anders, es immer gewesen. Er war noch nicht so müde, hatte sich nie so verausgabt und somit jetzt noch die nötigen Reserven die letzten Jahre mit Anstand zu beenden. Er hatte immer etwas neben dem Beruf, nein über dem Beruf. Wichtigeres. Er hatte sich nicht von der Strömung mitreißen lassen, es immer geschafft seinen wahren Interessen nachzugehen. War möglichst jeden Tag mit dem Fahrrad in das Büro gefahren, war jedes Jahr mindestens einmal in die Skiferien gefahren, ein Jahresurlaub mit der Familie und einen Wanderurlaub mit Freunden. Daneben noch regelmäßige Aktivitäten mit der Familie oder Freunden an den langen Wochenenden. Und bald würde er dafür noch mehr Zeit haben. Aber nicht jetzt. Noch nicht.

 

Das ist bei uns leider anders“, antwortete Hauptkommissar Warnecke mit etwas Verzögerung. „Das Opfer war hochintegriert. Hatte einen großen Freundes- und Bekanntenkreis. Kunstinteressierte, das Yoga-Studio. Familienangehörige hat sie wenige. Die Wenigen leben in der Schweiz und hatten bestenfalls lose Kontakte zu ihr. Anders sieht es in der Familie der Lehrerin aus, zwei Brüder, eine Schwester, alle leben im Rheinland. Die junge Frau ist in Bonn zur Schule gegangen, hat in Bonn studiert, an einer Bonner Schule gearbeitet, kurz, sie hatte hunderte von Bekannten. War überall beliebt, wenn nicht geliebt. Und die kommen theoretisch alle als Täter infrage. Wir haben die Bonner Sonderkommission auf mittlerweile 20 Beamte aufgestockt. Aber eine Spur haben wir noch nicht“.

 

Hamburg“, leitete Hauptkommissar Faber über.

 

Leider ähnlich“ begann Kommissar Steiger seinen Bericht. „Auch hier war das Opfer voll integriert, wurde aber weniger geliebt als vielmehr gehasst. Im Kreis seiner Kommilitonen und insbesondere den zahlreichen darunter befindlichen Exfreundinnen gibt es auch hier hunderte von Kontakten. Und auch seine Familie lebt schon lange in Hamburg. Gut situiert und gut vernetzt. Das Opfer ging dort auf das Gymnasium, auch er gut vernetzt, im Segelclub, im Golfverein und so weiter. Und er war offenbar schon immer ein Arschloch gewesen. Dann haben wir auch noch den Professor und die Studentin mit der angeblichen Beziehung, die ebenfalls beide lange in Hamburg und Umgebung gelebt haben und gut integriert waren. Also auch aus unserer Sicht: viel Arbeit und keine erfolgversprechenden Anhaltspunkte. Wir arbeiten derzeit mit zwölf Beamten an dem Fall, Hauptkommissar Weissbach hat aber schon Verstärkung angefordert.“

 

Wie stehen wir bei der Überprüfung der Todesfälle der vergangenen Jahre?“, war Fabers nächste Frage.

 

In annähernd einhundert haben wir einigermaßen umfänglich recherchiert“, antwortete Kommissar Marten. „Das klingt nicht schlecht, ist aber weniger als fünf Prozent. Insofern haben wir noch genügend Chancen, etwas zu finden. Wenn wir das positiv sehen“, fuhr er mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen fort.

 

Irgendwelche Wunder aus dem Profiling“? Damit hatte Faber den Ball an die letzte Station gespielt.

 

Nichts Neues. Der einzige Fortschritt besteht darin, dass ich mir in meinen Hypothesen immer sicherer werde. Aber mehr nicht“ antwortete Kommissar Sehlmann.