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Fatebug - Tödliches Netzwerk 76

 

76.

 

 

 

Was heißt das, wir können von Fatelog nicht verlangen, dass sie die Videos mit den nachgestellten Morden aus dem Netz nehmen“, wollte Staatssekretär Schneider von der Oberstaatsanwältin wissen.

 

Er hatte sie angerufen, indirekt veranlasst durch seinen Minister, der sich bei ihm beschwert hatte, dass die Videos immer noch aufrufbar waren. Der Minister hatte sich am Vortag von einem Reporter provozieren lassen. Als der Reporter im Interview mit dem Minister die im Internet präsenten Videos als Schande für die Republik titulierte, versprach der Minister leichtsinnigerweise schnell für Abhilfe zu sorgen. Und sie sollte das Ministerium nun dabei unterstützen den Worten des Ministers Taten folgen zu lassen.

 

Wenn die Besitzer der Seiten sich weigern, die Videos zu löschen, haben wir keine Handhabe gegenüber dem Unternehmen“, erklärte ihm Frau Dr. Förster. „Das ist das gleiche Problem, das wir bei allen Fake-News haben. Die sozialen Netzwerke werden nicht wie normale Medien behandelt, obwohl sie in den letzten Jahren dazu geworden sind. Viele Menschen informieren sich nur noch über die sozialen Medien. Wenn man das Informieren nennen kann. Sie lesen keine Zeitungen, schauen keine Nachrichten, sondern beziehen ihre vermeintlichen Fakten aus Fatelog. Sie rufen gewöhnlich aber immer nur bestimmte Seiten auf, wenn sie nicht gleich entsprechende Filter aktiviert haben und nur noch auf einen gefilterten Ausschnitt kommen. Das, was sie da lesen, betrachten sie als Wahrheit. Werden sie doch mal mit anderen, gegenteiligen Botschaften konfrontiert, glauben sie diese nicht. Ich sage nur: Lügenpresse. Wir können also nichts gegen den Konsum der Fake-News tun, außer aufklären und auf mündigere Konsumenten hoffen. Wir können derzeit aber auch wenig gegen die Betreiber tun. Wie gesagt, obwohl sie Informationen und Botschaften transportieren, wie Zeitungen, Magazine, Sender, werden sie rechtlich nicht als Medien betrachtet, sind also für die über sie verbreiteten Inhalte juristisch gesehen somit nicht verantwortlich. Das bedeutet zum Beispiel auch, dass sie keine Gegendarstellungen verbreiten müssen, wie, ich nenne sie mal traditionelle Medien. Juristisch basiert die Stellung der sozialen Netzwerke auf einer EU-Richtlinie und dem deutschen Telemediengesetz. Die Richtlinie stammt übrigens aus dem Jahr 2000. Damals hatte noch niemand voraussehen können, wie sich das Internet und die Kommunikation auf der Welt entwickeln würde. Fatelog zum Beispiel gab es noch gar nicht, heute hat es fast 30 Millionen Nutzer, nur in Deutschland. Aber zurück zu den eben erwähnten juristischen Grundlagen. Demnach müssen die Betreiber nachweisliche Falschmeldungen entfernen, sobald sie von deren Existenz erfahren. Das Verfahren wird auch als „Notice and take down“ bezeichnet.

 

Klingt eigentlich ganz gut, aber dabei gibt es noch zwei Haken. Erstens gibt es keine Vorgaben in welchem Zeitraum, also mit welcher Geschwindigkeit die Falschmeldungen gelöscht werden müssen. Und zweitens stellt sich die Frage, was denn überhaupt Falschmeldungen oder Verletzungen sind und nicht etwa bloße Meinungsäußerungen. So lange das nicht durch die Opfer nachweisbar ist, gibt es gar keine Handhabe für eine Löschung. Wohlgemerkt bedeutet das: Im Gegensatz zu traditionellen Medien muss nicht der Verbreiter die Wahrheit nachweisen, sondern das Opfer die Unwahrheit.“

 

Dann zwingen sie eben die Benutzer, die Machwerke zu löschen“, blaffte der Staatssekretär unwirsch zurück.

 

Auch dazu haben wir keine Handhabe“, entgegnete die Oberstaatsanwältin ruhig. „Bei einigen ist uns das zwar gelungen. Wir konnten sie einschüchtern, obwohl wir dazu kein Recht hatten. Aber viele kannten die Rechtslage. Sie erklärten die Videos einfach zu Kunstwerken. Damit waren sie geschützt. Über den Inhalt von Kunst kann man streiten, über Geschmack auch, aber über das Existenzrecht von Kunst nicht. Nicht in diesem Staat. Das wissen die Betroffenen ganz genau. Und sie auch“.

 

Der Minister erwartet, dass die Filme kurzfristig verschwinden“, bekräftigte der Staatssekretär den Auftrag. „Und er erwartet, dass wir beide dafür sorgen, dass sie verschwinden.“

 

Ich fürchte, wir werden ihn enttäuschen müssen. Wir haben schon alles versucht. Auch den Nutzern gedroht, wir würden sie wegen Behinderung der Ermittlung belangen und ihnen Nachsicht angeboten, wenn sie die Filme löschen. Das hat bei einigen sogar funktioniert. Die anderen waren auch damit nicht zu kriegen. Sie sollten ihrem Minister mal erzählen, wie das Netz funktioniert. Selbst wenn wir die Filme von den Fatelogseiten der selbsternannten Künstler gelöscht bekommen, im Netz existieren doch schon Tausende von Kopien. Aber vielleicht kann die Bundesanwaltschaft ja Wunder vollbringen. Wir hier in Düsseldorf können das nicht“.

 

Der Generalbundesanwalt hat sich übrigens auch schon beim Minister beschwert. Aber das konnten sie sich ja denken. Was sollte denn die Schuldzuweisung gestern im Interview mit dem WDR-Lokalfernsehen“, fragte der Staatssekretär und nahm ihre Einladung zum Themenwechsel an.

 

Schuldzuweisung?“, fragte die Oberstaatsanwältin. „Davon kann keine Rede sein. Ich habe lediglich auf die Frage nach der künftigen Zuständigkeit korrekterweise auf die Bundesanwaltschaft verwiesen.“

 

Das meinte ich nicht“, korrigierte der Staatssekretär Schneider. „Ich meine die Passage, als sie darauf hinwiesen, dass sie die Bundesanwaltschaft schon vor längerem auf die Brisanz des Falles aufmerksam gemacht hatten, der Generalbundesanwalt aber erst vorgestern die Sinnhaftigkeit einer Evokation gesehen und den Fall folgerichtig an sich gezogen hat“.

 

Auch das entspricht der Wahrheit“, verteidigte sich die Oberstaatsanwältin.

 

Danach hatte aber keiner gefragt. Wussten sie, dass der Minister und der Generalbundesanwalt, sagen wir mal, nicht die besten Freunde sind? Oder hatten sie einfach Glück. Aber sie haben natürlich Recht. Ich versuche den schwarzen Peter dann mal auf den Tisch des offiziell Zuständigen zu legen. Danke für das Gespräch“.

 

Gerne und viel Erfolg“, verabschiedete sie sich und legte den Hörer auf.