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Fatebug - Tödliches Netzwerk 88

88.

 

 

 

Manchmal ging es schneller, als einem lieb war. Detlef Schmittke hätte sich gewünscht, dass es länger gedauert hätte, bis das Klingeln seines Handys ihn aus dem Schlaf riss. Er brauchte einige Sekunden um zu registrieren, was passierte. Wo er war. Er griff zum Smartphone, sah auf das Display. Es war gerade mal 01:30 Uhr.

 

Wir haben den Schrebergarten gefunden“, plärrte es aufgeregt an sein Ohr.

 

Schmittke überlegte kurz. Dann antwortete er: „Ok. Prima. Schicken Sie uns die Adresse oder eine Karte per Mail. An mich und den Fotografen Frank Ewert. Betreff: Schrebergarten oder so und ohne Text. Wir treffen uns dann um 06:30 Uhr dort vor Ort. Aber sie allein. Die Hilfskräfte können sie nach Hause schicken“.

 

Dann legte er auf, stellte den Alarm der Wecker-App auf 05:00 Uhr und ließ sich wieder in das Bett sinken.

 

Auf das nächste Klingeln war er vorbereitet. Er war sofort wach. Es war Zeit Geschichte zu schreiben, zumindest eine Geschichte zu schreiben, die die Leser verschlingen würden. Aber bei aller Vorfreude wurde ihm trotzdem bewusst, dass er noch keine Idee hatte, wie sie weiter vorgehen sollten.

 

Zuerst einmal Ewert wecken“, beschloss er, wählte den Kontakt Ewert aus und rief dessen Handynummer an. Es klingelte einige Male, dann meldete sich die Mailbox. „Hatte der Idiot sein Handy ausgeschaltet?“, dachte Schmittke und aktivierte die Wählfunktion noch einmal. Wieder nichts. Er war bereits dabei sich anzuziehen, um zum Nachtportier zu gehen, um Ewert wecken zu lassen, als sein Handy klingelte.

 

Was ist?“, hörte er die verschlafene Stimme des Fotografen.

 

Es geht los. Wir treffen uns in 30 Minuten unten im Foyer“, befehligte Schmittke und legte auf.

 

Eine halbe Stunde später saßen sie im Auto, müde aber auch erwartungsfroh. Ein spannender Tag lag vor ihnen.

 

Wo geht es hin?“, fragte der Fotograf.

 

Hier ist die Adresse“, sagte Schmittke und hielt seinem Kollegen das Display seines Handys vor die Nase, auf dem die Mail mit der Zieladresse angezeigt war.

 

Der Fotograf gab die Adresse in das Navigationssystem ein und aktivierte die Zielführung.

 

Wahrscheinlich sind wir um kurz vor 7:00 Uhr da“, bemerkte Klaus Proff.

 

Aber nur, wenn wir bald losfahren“, ätzte Schmittke.

 

Nach einer gut halbstündigen Fahrt und ebenso langem Schweigen näherten sie sich dem Ziel. Weitere 15 Minuten später hatte das Navigationssystem sie auf eine verlassene Straße gelotst, an deren Straßenrand zahllose leere Parkbuchten waren. Nur eine der Parkbuchten war besetzt, die Innenbeleuchtung des Fahrzeugs brannte, aus der linken Seitenscheibe quoll weißer Rauch in den trüben, noch dunklen Novemberhimmel. Der Fotograf lenkte ihr Fahrzeug in die Bucht direkt links neben das schon parkende Auto.

 

Schmittke ließ die Seitenscheibe herunter und sah den Lokalredakteur fragend an. Der hob nur leicht den Kopf, aber so auffällig, dass Schmittke´s Blick instinktiv der Richtung folgte, in welche die Nase des Lokalreporters wies. Da war er, der Eingang zur Schrebergartenkolonie, nur etwa fünf Meter links vom Kühler ihres Fahrzeugs.

 

Aussteigen“, befahl Schmittke seinem Fotografen und stieg aus dem Wagen. Auch der Lokalredakteur stieg aus.

 

Guten Morgen Kollegen“, begrüßte er die Neuankömmlinge. „Das müsste es sein“.

 

Das hoffe ich. Für sie“, blaffte Schmittke ihn unfreundlich an.

 

Und was jetzt?“, fragte der Lokalredakteur provozierend und erinnerte ihn daran, dass er immer noch keinen Plan hatte.

 

Sie können da nicht rein marschieren“, sagte der Lokalredakteur und zerstörte damit Schmidts vermeintlich beste Option.

 

Die Polizei wird alles ganz genau absuchen. Man würde ihre Spuren finden. Und die Bilder könnten sie auch nicht veröffentlichen. Jedenfalls nicht ohne sich und dem Verlag eine Menge Ärger einzuhandeln“.

 

Was Schmittke am meisten ärgerte war, dass der Kollege Recht hatte. Es war eigentlich völlig idiotisch gewesen, Hals über Kopf nach Bischofswerda zu fahren, hunderte Kilometer, um jetzt hier zu stehen, perspektivlos.

 

Haben sie eine bessere Idee oder können sie nur klugscheißern?“, attackierte Schmittke den Lokalredakteur.

 

Ja, statt Reporter des Anzeigers finden neues Opfer, wird die Schlagzeile lauten: Reporter des Anzeigers führen die Polizei zu weiterem Opfer. Dazu müssen wir nur auf die nächste Wache fahren, ihren Laptop mitnehmen, die Videos vorführen und schon kann der Kollege seine Kamera zücken und die anfahrenden Streifenwagen fotografieren. Vielleicht können wir uns im ersten Trubel sogar in die Kolonie schleichen. Die werden erst mal normale Funkstreifen raus schicken. Mit etwas Glück denken die nicht daran, gleich eine Absperrung zu machen. Dann kriegen wir noch schöne Bilder von der Datsche von außen. Exklusiv, denn bis die Konkurrenz hier ist, ist sicher alles abgesperrt“.

 

Gut. Wir beide fahren zur Polizei. Ewert, sie bleiben hier. Schauen sie aber mal, ob sie nicht doch irgendwie in die Kolonie reinkommen. Das Tor ist ja nicht sehr hoch. Machen sie sicherheitshalber ein paar Außenaufnahmen vom Gartenhäuschen. Nur zur Sicherheit. Damit wir etwas haben, falls wir nachher doch nicht rein kommen. Dann suchen sie sich ein ruhiges Plätzchen, von dem sie gute Bilder von der Ankunft der Polizisten schießen können. Und von uns. Wir kommen unmittelbar zurück, sobald wir der Polizei vermittelt haben, das hier was passiert ist“.

 

Wir nehmen meinen Wagen“, rief der Lokalredakteur.

 

Sie stiegen ein und fuhren weg.

 

Frank Ewert zog den Gurt seiner Kameratasche straffer über den Oberkörper und ging langsam zum Eingangstor der Gartenkolonie. Es bestand aus zwei ungefähr 180 cm hohen Flügeltoren, über die sich ein stählerner Rundbogen spannte. Aber da zwischen dem oberen Rand der Türen und dem Bogen eine Öffnung von 40 bis 50 Zentimetern war, bereite es dem sportlichen Fotografen keine große Mühe, sich am Tor hochzuziehen, ein Bein auf die Tür zu schwingen und sich dann auf die andere Seite zu rollen. Lediglich die sich auf dem Metall abgelagerte Feuchtigkeit war etwas unangenehm und hinterließ feuchte Flecken auf seiner Jacke und Hose. Schnell hatte er die Datsche gefunden, es war die zweite auf der rechten Seite. Er packte seine Kamera aus, visierte das Motiv an und musste feststellen, dass es für eine Aufnahme ohne Blitz oder Stativ noch zu dunkel war. Geübt baute er das Stativ auf, fixierte die Kamera und schob das Gestell soweit an die Pforte zum Gartengrundstück, dass das Objektiv durch eine Lücke im mit Eisen vergitterten Törchen passte. Dann stellte er eine lange Belichtungszeit ein, stellte das Motiv scharf und löste die Aufnahme aus. Zu Sicherheit machte er noch zwei weitere Aufnahmen mit leicht veränderten Belichtungszeiten. Routiniert entfernte er die Kamera vom Stativ, legte selbiges zusammen und verstaute es in der Tasche. Als nächstes montierte er einen Blitz auf die Kamera, justierte die Kameraeinstellung für die Blitzaufnahme, fokussierte und löste wieder aus. Zwei weitere Blitze zuckten durch die Dämmerung, dann verstaute er alles in der Kameratasche, warf sich die Tasche über den Rücken, zurrte den Gurt fest und lief zum Tor. Auch das Verlassen der Anlage machte keine Schwierigkeiten. Er legte die Kameratasche auf den Beifahrersitz, parkte das Auto um, so dass er den Eingang gut im Blickfeld hatte und ungehindert Aufnahmen machen konnte, ohne selbst sofort gesehen zu werden.