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Fatebug - Tödliches Netzwerk 106

 

106.

 

 

 

Ein Klingeln riss ihn aus dem Schlaf. Er brauchte einige Sekunden um sich zu orientieren, um zu erkennen, dass er in einem Hotelzimmer lag, in München wie ihm wieder einfiel.

 

Gestern Abend hatte er nach der Besprechung mit den Münchner Kollegen hier eingecheckt. Das Zimmer war über das Präsidium organisiert worden. Das Hotel war keine 5 Minuten zu Fuß vom Präsidium entfernt, ein wenig beeindruckendes Hotel irgendeiner der großen Ketten, austauschbar, aber kalkulierbar.

 

Nachdem er das Zimmer betreten hatte, hatte er sofort den Fernseher eingeschaltet und war auf eine Fernsehdiskussion zu seinem aktuellen Fall gestoßen. Gleich zu Anfang, als der Moderator über die angestiegene Zahl von Übergriffen berichtete, fiel ihm ein, dass er noch im Lagezentrum hatte anrufen wollen. Er beschloss damit bis nach der Sendung zu warten. Wirklich Neues hatte er aber nicht erfahren, höchstens, dass die Zahl der Übergriffe mittlerweile noch gestiegen war und sie damit rechneten, dass die Ministerien schon bald verstärkte Präsenz der Polizei auf den Straßen anordnen würden. Noch mehr Kollegen, die der Fall beschäftigen würde.

 

Nach einem schnellen Frühstück ging er hinüber in das Präsidium, wo seine bayerischen Kollegen ihn schon erwarteten. Sie wollten zu Frau Binz, der ehemaligen Mitbewohnerin von Frau Tenzel fahren. Frau Tenzel war die Bewohnerin, die sich vor einiger Zeit umgebracht hatte. Nachdem Frau Schober ihre Verleumdungen in die Welt gesetzt hatte. Mittlerweile hatten die Beamten vom Nachtdienst Telefonnummer, Adresse und Arbeitsstätte von ihr ermittelt.

 

Da sie zu Hause telefonisch nicht erreichbar war, riefen die Beamten in der Firma an. Frau Binz war zwar noch nicht im Büro erreichbar, jedoch wusste die Dame, die den Anruf entgegennahm zu berichten, dass sie Frau Binz heute normal im Büro erwarteten.

 

Als sie knappe 30 Minuten später in der Eingangshalle eines kleinen Münchner IT-Dienstleister eintrafen, hatte man Frau Binz bereits über ihren anstehenden Besuch informiert.

 

Sie holte die Beamten ab und führte sie in einen Besprechungsraum im Erdgeschoss.

 

Was kann ich für sie tun?“, fragte Frau Binz.

 

Wir kommen wegen ihrer früheren Mitbewohnerin, Frau Tenzel“, antwortete Hauptkommissar Karst. „Eigentlich“, fuhr er fort, „geht es um Frau Schober. Frau Schober ist gestern ermordet aufgefunden worden. Derzeit überprüfen wir alle Personen in ihrem Umfeld, insbesondere die, mit denen sie in der Vergangenheit, sagen wir mal, Probleme gehabt hatte.“

 

Sie verdächtigen doch nicht etwas mich?“, fragte Frau Binz, sah dabei aber nicht beunruhigt aus.

 

Reine Routine“, beschwichtigte Hauptkommissar Karst trotzdem pflichtgemäß. „Können Sie uns sagen, wo sie sich am Freitagabend aufgehalten haben?“.

 

Da war ich im Kino, mit einer Freundin“, antwortete sie. „Sie arbeitet hier, sie kann ihnen das sicher gleich bestätigen.“

 

Danke. Darum kümmern wir uns später“, antwortete Hauptkommissarin Rostach. „Wie mein Kollege schon sagte, interessieren wir uns hauptsächlich für ihre damalige Mitbewohnerin Frau Tenzel.“

 

Sie ist tot“, sagte Frau Kurz. „Aber das wissen sie ja wahrscheinlich schon“.

 

Ja, das wissen wir. Können Sie uns etwas über sie erzählen und die Probleme, die sie seinerzeit mit Frau Schober hatten“, bat Frau Rostach.

 

Oh Gott, das ist so lange her. Ich wohnte schon länger in dem Haus, zuerst mit meinem Freund, nach unserer Trennung dann allein. Bis ich Steffi, also Frau Tenzel kennenlernte. Zufällig suchte sie eine Wohnung, mir war die Wohnung zu groß und zu teuer, also zog sie ein, zur Untermiete. Das war grundsätzlich gestattet, mein Freund war auch als Untermieter gemeldet. Etwa drei Monate später kam dann die Maklerin auf uns zu und eröffnete uns, dass man das Haus gerne frei haben wollte, bot uns Unterstützung bei der Suche nach einer neuen Wohnung an und so weiter. Aber wir wollten da nicht weg, die Miete war auch ziemlich günstig. Ungefähr alle drei bis vier Wochen meldete sich Frau Schober immer wieder, dann auf einmal nicht mehr. Aber wir bekamen auf einmal Schwierigkeiten mit den Nachbarn. Es wurde getuschelt, wir wurden im Treppenhaus beschimpft, der Briefkasten mit Fäkalien verschmutzt. Erst einige Tage später haben wir dann erfahren, dass uns jemand als Prostituierte verunglimpft hatte, die ihre Freier in der Wohnung empfangen würden. Da war natürlich nichts dran, wir versuchten das auch richtig stellen zu lassen, aber der Terror hörte nicht auf.“

 

Gab es denn Anlass für die Beschuldigungen?“, wollte Hauptkommissar Karst wissen.

 

Natürlich nicht. Die Maklerin wollte uns nur aus der Wohnung haben“, antwortete Frau Binz, sichtlich verärgert.

 

Trotzdem setzte Karst nach. „Keine Männerbesuche? Bei ihnen oder Frau Tenzel?“.

 

Ich war solo, bin in der Zeit mit zwei bis drei Männern ausgegangen, einer oder zwei haben mich auch zu Hause besucht oder mich mal abgeholt.“

 

Und bei Frau Tenzel“, wollte Hauptkommissarin Rostach wissen.

 

Die hatte einige Wochen nach ihrem Einzug Werner kennen gelernt. Der kam ein- bis zweimal die Woche zu ihr, blieb auch hin und wieder über Nacht. Und dann war da auch noch ihr Freund aus Frankfurt. Der war auch einmal da“, berichtete Frau Binz.

 

Sie hatte zwei Beziehungen?“, fragte Karst ketzerisch nach.

 

Eigentlich nicht. Seit sie Werner kennen gelernt hatte, ist sie nur noch einmal nach Frankfurt gefahren.“

 

Können sie uns die Namen und die Adressen der beiden Männer geben?“, bat Hauptkommissarin Rostach.

 

Leider nein. Werner war Stammgast in einem Wirtshaus an der Ridlerstrasse. Nicht weit vom Heimeranplatz. Von dem Typen aus Frankfurt, weiss ich gar nichts. Noch nicht einmal an den Namen kann ich mich erinnern.“

 

Können sie uns beschreiben, wie er aussah?“, mischte sich Hauptkommissar Faber in das Gespräch ein.

 

Nein, auch da kann ich Ihnen nicht weiter helfen“, antwortete Frau Binz.

 

Sie müssen sich doch an irgendetwas erinnern“, drängelte Hauptkommissar Karst.

 

Nein, ich habe ihn ja nie gesehen. Das Wochenende als er Steffi besuchte, war ich verreist. Und ein Bild hat sie mir nie gezeigt. Wir waren ja auch keine Freundinnen, im engeren Sinne. Mehr eine Zweckgemeinschaft, wir haben uns halt die Wohnung geteilt“.

 

Was wissen sie über den Selbstmord?“, fragte Hauptkommissarin Rostach.

 

Hat mich total schockiert. Sie war doch gerade so verliebt, in Werner. Ich hatte sie an einem Morgen noch beim Frühstück gesehen, sie schien etwas deprimiert, ich hatte mir aber nichts dabei gedacht. Ich war auch beruflich ziemlich angespannt und hatte sie eine Zeit lang kaum gesprochen. Erst als sie zwei Tage nicht aufgetaucht war, habe ich in ihrem Zimmer nachgesehen und sie dort tot im Bett gefunden. Auf dem Tischchen neben dem Bett lagen leere Tablettenröhrchen, daneben stand eine halbvolle Flasche Wodka. Ich habe dann sofort den Notarzt gerufen. Aber es war zu spät.“

 

Den Rest hatten die Beamten in den Akten. Auch den Namen ihres Münchner Freundes, er war auf der Beerdigung gewesen. Die Polizei hatte ihn routinemäßig befragt, die Angelegenheit aber nicht weiter verfolgt, da alles auf einen Selbstmord hindeutete. Von dem Freund oder Bekannten in Frankfurt, war nie die Rede gewesen. Zumindest wurde er in den Akten nicht erwähnt.

 

Die Beamten ließen sich noch den Namen und die Telefonnummer der Kollegin geben, die Frau Binz am Freitag in das Kino begleitet hatte. Nach einem kurzen Kontrollanruf bedankten und verabschiedeten sie sich.