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Fatebug - Tödliches Netzwerk 4

 

4.

 

 

 

Das Institut für Rechtsmedizin war ungefähr fünf Kilometer vom Kommissariat entfernt. Da es auf der anderen Rheinseite lag, würden sie einige Zeit unterwegs sein.

 

Mit dem Termin beim Chef wird es dann schon eng“, dachte sich Strecker, als er zu seinem Kollegen in den Wagen stieg, aber ironischerweise konnte der warten, die Leiche nicht. Da es mittlerweile spät am Vormittag war, kamen sie gut voran. Während der Fahrt informierte Strecker Frau Meier-Uhland über den dringenden Termin in der Rechtsmedizin und bat sie, ihren Chef über die sich abzeichnende Verspätung zu informieren.

 

Lohr parkte den Wagen auf dem institutseigenen Parkplatz, auf dem für die Polizei immer einige Plätze reserviert waren. So schnell es Streckers Konstitution zuließ, marschierten sie in Richtung der Obduktionsräume in deren Nähe Dr. Marx sein Büro hatte. Die Tür war angelehnt, so dass sie mit einem kurzen eher angedeuteten Klopfen eintraten und sich dem Handzeichen von Dr. Marx gehorchend, auf die zwei Stühle vor seinem Schreibtisch niederließen. Dr. Marx war noch am Telefonieren. Da er Verständnis für die Ungeduld der Ermittler hatte, vertröstete er seinen Gesprächspartner auf einen baldigen Rückruf und wandte sich seinen Besuchern zu.

 

Einen schönen guten Morgen die Herren“, eröffnete der Pathologe das Gespräch. „Ich will sie nicht lange auf die Folter spannen. Der nun tote Mann war ca. 40 Jahre alt, 186 cm groß und wog 97 Kilogramm. Augen blau, Haare braun. Die körperliche Konstitution vor dem Ableben war offensichtlich gut, abgesehen von dem leichten Übergewicht. Er hatte weder Organschädigungen noch größere Verletzungen. Alte Verletzungen meine ich natürlich, bevor er durch wen auch immer aufgeschlitzt wurde. Am Oberkörper und den Oberarmen fanden wir leichte Hämatome, vermutlich wurde das Opfer dort fest gepackt, zum Beispiel, um es auf den OP-Tisch zu bewegen. Natürlich hatte er auch Einschnitte und Quetschungen an den Hand- und Fußgelenken als Folge der Fesselung an die Tischbeine. Die Fesselung erfolgte durch handelsübliche Kabelbinder. Die Tiefe der Einschnitte deutet darauf hin, dass er heftig, trotz der daraus sicher resultierenden Schmerzen, an den Fesseln gezerrt hatte. Ob dies während der, nennen wir es Operation geschah oder erst bei anschließenden Befreiungsversuchen, lässt sich nicht definitiv sagen. Wir haben geringe Spuren eines Betäubungsmittels in seinem Blut gefunden. Die Beschaffenheit und Konzentration lässt allerdings vermuten, dass er damit betäubt wurde, um ihn zu entführen oder einfacher fixieren zu können. Die eigentliche Tat dürfte er bei vollem Bewusstsein, sofern er nicht vor Schmerzen bewusstlos geworden ist, miterlebt haben. Für die Fixierung des Dickdarms wurden übrigens Metallklammern verwendet, die wahrscheinlich mit einem Tacker angebracht wurden. Gestorben ist er letztendlich an Blutverlust. Glücklicherweise muss man schon fast sagen, hat der Täter einige Blutgefäße erwischt, die das Opfer ca. zwei bis drei Stunden nach ihrer Durchtrennung verbluten ließen. Eintritt des Todes vor ungefähr 36 Stunden. Die Tat fand also vorgestern Abend bzw. am späten Nachmittag statt. Details dann in meinem Bericht. Noch Fragen meine Herren? Ach so, nein, wir haben keine Spuren gefunden, die auf ein Sexualvergehen hinweisen könnten, zumindest eines im Rahmen des normalen Vorstellungsvermögens. Weder am noch im Opfer ließ sich Spuren von genetischem Material oder Verletzungen finden, die in diese Richtung weisen könnten.“

 

Haben sie so etwas schon mal gesehen“, fragte Kommissar Lohr mit unsicherer Stimme.

 

Nein“, antwortete der Pathologe. „Obwohl ich mal gelesen habe, dass die Karthager bei Hinrichtungen ihre Delinquenten aufschlitzten und den Darm aufwickelten. Auch in England zur Zeit Heinrich VIII wurden Todeskandidaten häufig bei lebendigem Leibe ausgeweidet und ihr aus dem Körper entfernter, aber noch mit ihm verbundener, Darm sogar noch angezündet. Aber dass jemand das Ende eines abgetrennten Dickdarmes am Mund eines Opfers fixiert, habe ich noch nie gehört. Und mir bis gestern auch nicht vorstellen können“.

 

Gab es noch Spuren oder Hinweise, die uns bei der Identifizierung helfen könnten? Tattoos, Narben oder etwas ähnliches“, fragte Kommissar Lohr den Gerichtsmediziner.

 

Nichts dergleichen“, antwortete dieser. „Abgesehen von Spuren, die voraussichtlich von einem alten Schienbeinbruch stammen. Aber der muss vor langer Zeit passiert sein. Mehr als 20 Jahre zurück schätze ich. Auch das Gebiss zeigte keine besonderen Auffälligkeiten. Ein extrahierter Backenzahn links oben, aber ansonsten vollständig. Keine Lücken, Prothesen oder Kronen. Wenn sie wollen, können sie noch einen Blick auf die Leiche werfen. Wenden sie sich an meinen Assistenten. Sie finden ihn drüben im Obduktionssaal. Ich müsste mich nun mit dem nächsten Fall beschäftigen. Den Bericht bekommen sie im Laufe des Nachmittags“.

 

Das war ein deutlicher Hinweis, dass der Termin beendet war, dachte sich Max Lohr. Er bedankte sich, im Gegensatz zu Hauptkommissar Strecker, der sich wortlos erhob und den Raum verließ. Überhaupt hatte er während des ganzen Termins kein Wort gesagt.

 

Auf dem Rückweg ließen sie sich vom Assistenten die nun obduzierte Leiche zeigen. Kommissar Lohr machte mit seinem Handy noch einige weitere Bilder, insbesondere vom nun gereinigten Gesicht des Opfers. Vielleicht wären sie bei den anstehenden Besuchen bei den potentiellen Angehörigen hilfreich. Er lieferte den Hauptkommissar beim Präsidium ab und fuhr dann gleich weiter.