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Fatebug - Tödliches Netzwerk 5

 

5.

 

 

 

Hauptkommissar Strecker durchquerte währenddessen zögerlich das Foyer des Präsidiums. Der Termin beim Kriminalrat stand an. Und der würde jede Menge Fragen, Vorwürfe und vor allem Vorschläge haben, wie man den Fall erfolgreich angehen könnte. Der einzige Lichtblick an dem Termin war die Notwendigkeit, vor dem Zutritt zum Dienstzimmer des Chefs sein Sekretariat zu durchqueren und somit die Gelegenheit zu haben Frau Meier-Uhland zu begegnen. Und wenn der Chef nicht gleich verfügbar war, bestand sogar noch die Gelegenheit für eine kurze Unterhaltung, samt Blickkontakt.

 

Während er durch die Flure des Präsidiums ging, schweiften seine Gedanken ab und er dachte über sein Leben nach. Nun war er Ende 50, allein lebend, ohne feste Beziehung und mit einem sehr überschaubaren Freundeskreis. Ein Privatleben fand seit Jahren praktisch nicht mehr statt, jedenfalls wenn man soziale Beziehungen mit anderen Menschen als Maßstab anlegte. In früheren Jahren hatte er durchaus einige, manche würden sogar behaupten viele, Beziehungen zum anderen Geschlecht gehabt. Doch die endeten immer schnell. Ob sein Beruf, - das Klischee des beim Sex klingelnden Telefons hatte er mehrfach erfüllt -, Ursache oder nur eine willkommene Ausrede für seine Beziehungsprobleme waren, mochte er selbst nicht entscheiden. Seine Partnerinnen gewannen jedenfalls meist sehr früh den Eindruck, dass er nur mit seinem Beruf verheiratetet war. Rückblickend war er froh, dass er sich nie zwischen dem Beruf und der sich vernachlässigt gefühlten Partnerin entscheiden musste. Keine hatte ihm eine Entscheidung abverlangt, sie waren alle mehr oder weniger einfach von selbst gegangen. Nun hatte er seit Jahren keine richtige Beziehung mehr gehabt. Ein paar One-night-stands mit anschlussbedürftigen Damen, die er in zweifelhaften Etablissements aufgabelte. Jedes Mal war zumindest eine der am Geschlechtsakt beteiligten Personen ziemlich betrunken gewesen. Ein paar Besuche bei professionellen Dienstleisterinnen. Das war´s. Der Beruf bedeutete ihm alles. Damals. Kein Einsatz war ihm zu viel. Und es schien sich zu lohnen. Die meisten seiner Fälle konnte er in erstaunlich kurzer Zeit lösen, die Beförderungen ließen nicht lange auf sich warten. Angestachelt vom Ehrgeiz legte er an seine Kollegen die gleichen Maßstäbe an. Ein Privatleben war für die Mitarbeiter seiner Teams nicht mehr möglich. Er kontaktierte sie gedankenlos, zu jedem Zeitpunkt zu dem er meinte bei der Arbeit Unterstützung brauchen zu können. Und er arbeitete pausenlos, so dass es für seine Mitarbeiter eher die Regel als Ausnahme war, auch mitten in der Nacht oder am Wochenende angerufen zu werden. Und mit dem Anruf war es nicht getan, am Ende des Telefonats stand für die Kollegen häufig ein Auftrag, der natürlich sofort zu erledigen war. Erst sprachen ihn die Kollegen darauf an, dann beschwerten sie sich und schließlich ließen sie sich versetzen. Dafür Verständnis aufzubringen fiel ihm schwer, genauso wie sich mit seiner Meinung hinter dem Berg zu halten. Das isolierte ihn im Kommissariat zusehends, selbst langjährige Kollegen gingen auf Distanz. Sein Freundeskreis hatte ihn in Folge seiner Arbeitswut schon vergessen, wie auch er ihn schon vergessen hatte.

 

Bald war dann auch mit den Beförderungen Schluss. Seinen Vorgesetzten waren die Probleme mit den Kollegen nicht verborgen geblieben, auch mit neuen Kollegen gab es immer wieder schnell Schwierigkeiten. Niemand wurde so richtig warm mit ihm, keiner blieb länger. Folglich entwickelte er sich mehr und mehr zu einem Einzelgänger. Sein Hang zu Alleingängen und die daraus resultierende sparsame Kommunikation führten zu permanenten Konflikten. Wie ein Strudel seine Opfer nach unten zog, versank Strecker in einem stetig zunehmenden Wirbel von Frustration und Isolation.

 

Auch gerade hatte er wieder dazu beigetragen. Denn erst kurz bevor er die Tür des Sekretariats von Kriminalrat Brandt erreichte, fiel ihm auf, dass er auf seinem gedankenverlorenen Gang durch das Präsidium alle Grüße von Kollegen ignoriert und somit auch nicht beantwortet hatte. Er klopfte an, freute sich auf Frau Meier-Uhland und trat auf ihr „Herein“ ein.

 

Aber das Vergnügen war kurz. Kaum hatte er das Büro betreten und die Sekretärin begrüßt, griff sie schon zum Hörer und informierte den Kriminalrat über Streckers Eintreffen. Mit einer eleganten Kopfdrehung in Richtung der Verbindungstür beschied sie Strecker direkt in das Büro von Kriminalrat Brandt einzutreten.

 

Strecker! Kommen Sie herein und nehmen sie Platz“, begrüßte ihn der Kriminalrat der ihm, die rechte Hand zu Begrüßung vorgestreckt, entgegenkam. Nach dem Händeschütteln führte er den Hauptkommissar zu einer kleinen Sitzecke und signalisierte ihm, das er auf dem Sofa Platz nehmen sollte. Er selbst setzte sich auf den Sessel, der auf der anderen Seite des kleinen Couchtisches stand.

 

Kann ich Ihnen einen Kaffee bringen lassen?“, fragte der Kriminalrat. Normalerweise hätte Strecker abgelehnt, aber da Frau Meier-Uhland den Kaffee bringen und servieren würde, wollte er sich die Chance auf einen zusätzlichen Blick nicht entgehen lassen.

 

Gerne“, erwiderte er daher.

 

Wie steht es mit dem Fall? Gibt es schon Fortschritte?“

 

Strecker berichtete kurz von den Ereignissen des Vormittags, den drei vielversprechenden Spuren um die Identität des Opfers feststellen zu können und wollte gerade auf den Besuch in der Pathologie zu sprechen kommen, als die Sekretärin mit dem Kaffee hereinkam. Selbst Zucker und Milch ließ er sich anreichen, obwohl er den Kaffee eigentlich klischeegerecht schwarz trank. Nachdem sie wieder unter sich waren, fasste er die Aussagen des Pathologen kurz zusammen. Brandt hörte aufmerksam und schweigend zu, selbst als Strecker anschaulich vortrug, was der Mörder mit seinem Opfer angestellt hatte, zeigte er keine Reaktion.

 

Strecker hingegen irritierte das Verhalten des Kriminalrats. Keine Fragen, keine Vorhaltungen, keine Tipps? „Er weiß das schon alles“ dachte sich Strecker. Dieser Termin hat einen anderen Grund. „Will er mich von dem Fall abziehen?“.

 

Danke“, sagte der Kriminalrat, nachdem Strecker seinen Bericht beendet hatte. „Dann haben wir ja noch nicht viel. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, mir ist bewusst, dass der Fall noch frisch ist und wir wahrscheinlich einige Zeit brauchen werden, bis wir eine Fährte haben. Aber die Geduld, die ich habe, wird die Öffentlichkeit nicht haben. Im Moment ist der Druck noch nicht groß, aber wenn durchsickert, was da wirklich passiert ist, wird die Presse uns die Hölle heiß machen. Und wenn wir dann noch nichts in der Hand haben, sollten wir wenigstens alles versucht haben. Daher habe ich beschlossen, mich an das Landeskriminalamt zu wenden und um die Unterstützung durch einen Fallanalytiker zu bitten. Wir haben es hier doch offenbar mit einem Täter zu tun, der alles was wir je gesehen haben, in den Schatten stellt. Und mit solchen Fällen oder besser gesagt, solchen Psychopathen, haben die Kollegen deutlich mehr Erfahrung. Sie und Lohr bleiben natürlich an dem Fall dran, aber Kommissar Sehlmann wird sie dabei unterstützen. Er wird sie heute Nachmittag noch kontaktieren. Ich erwarte, dass sie im Sinne der Sache zielgerichtet und reibungslos zusammenarbeiten und sich wechselseitig unterstützen. Alle.“

 

Nun war die Katze aus dem Sack.

 

So ein Arschloch“, dachte Strecker. „Anstatt Vertrauen in die eigenen Leute zu haben, ruft er gleich um Hilfe. Und von wegen im Sinne der Sache. Er will nur seinen eigenen Arsch aus der Schusslinie halten, falls es Druck gibt. Aber gut, es hätte auch noch schlimmer kommen können. Immerhin bin ich noch an dem Fall dran. Und mit dem Würstchen aus Düsseldorf werde ich schon fertig werden. Also: Kooperation vortäuschen“.

 

Das ist eine gute Idee“, antwortete Strecker, „die Erfahrungen des Profilers werden uns sicher helfen. Wenn nichts mehr anliegt, würde ich nun gerne wieder an die Arbeit gehen.“

 

Der Kriminalrat schwieg und erhob sich. „Danke für ihr Verständnis“, sagte er, während er, Strecker im Schlepptau, in Richtung Tür ging.

 

Kein Problem“, erwiderte dieser und verschwand mit einem freundlichen Lächeln in Richtung von Frau Meier-Uhland.

 

Scheiße, das gibt Ärger“ dachte sich Kriminalrat Brandt. Ihm wäre es lieber gewesen, Strecker wäre an die Decke gegangen. Nun würde er sich eine längere Zeit mit Konflikten zwischen den Ermittlern herumschlagen müssen.

 

Die Tür war zu. Das hatte jeder im Präsidium gehört. Strecker war wieder in seinem Büro.