· 

Fatebug - Tödliches Netzwerk 17

 

17.

 

 

 

Er musste eingeschlafen sein. Die Stehlampe war an. Das Buch lag auf dem Bauch. Die halbleere Flasche Wodka neben der Couch auf dem Boden. Was ihn geweckt hatte, wusste er nicht. Draußen war es noch immer dunkel und ungemütlich. Starker Wind wehte feuchte Brisen mit Schwung an die Scheiben. Routinemäßig ging er zu seinem Schreibtisch, bewegte die Maus seines Computers woraufhin der Bildschirm aufleuchtete. Strecker registrierte den Eingang einer neuen Mail, öffnete sie und war hellwach. Die Mail kam aus der Pathologie, sie hatten die Leiche identifiziert. Noch nicht mit absoluter Sicherheit, aber Vergleiche des Zahnschemas des Toten mit den von den Zahnärzten bereitgestellten Unterlagen ließen mit hoher Wahrscheinlichkeit den Schluss zu, dass der im Kühlfach lagernde Leichnam einst Moritz Donner war, der Kneipenwirt aus Mülheim. Da war er der Faden, der zum Knäuel führte, die erste Spur mit der man arbeiten konnte. Augenblicklich griff er zu Telefon und wählte die Nummer von Max Lohr. Als das Freizeichen verstummte und sich eine verschlafene Stimme meldete, blaffte er gleich los.

 

Kommen Sie sofort zum Präsidium. Der Tote ist identifiziert.“ Dann legte er auf.

 

Er durchsuchte seine Mails und öffnete die Nachricht, die ihm der Fallanalytiker mit seinen Zwischenergebnissen am Nachmittags geschickt hatte. Dort war unten seine Telefonnummer angegeben. Der sollte ruhig mitbekommen, was es bedeutete, an der Front zu arbeiten. Trotzdem konnte Strecker sich nicht beherrschen noch auf die Uhr zu sehen, bevor er die Nummer wählte. 02:30 Uhr. Der Typ ging nicht ran. Strecker wurde gerade richtig wütend. Da galt es einen abscheulichen Mord aufzuklären und dieser Bürohengst arbeitete wohl nur in den üblichen Bürozeiten. Dann meldete sich die Mailbox. Der Hauptkommissar hinterließ eine Nachricht. Trotzdem würde er alle fünf bis zehn Minuten die Taste für die Wahlwiederholung betätigen. Aber zuerst mal auf zur Morgentoilette. Und zum Kaffeeautomaten. Vorher verstaute er aber noch das Buch und die halbleere Wodkaflasche in seinem Schreibtisch.

 

Als er wieder in das Büro kam, war Klaus Sehlmann schon da. Von Max Lohr war aber nichts zu sehen. Strecker griff wieder zum Telefon und wählte die Nummer des Kommissars. Diesmal musste er nicht lange warten. Das Gespräch wurde sofort angenommen. „Wo bleiben Sie?“, bellte er in die Muschel.

 

Im Bett“, antwortete Lohr. „Was wollen Sie denn jetzt mitten in der Nacht unternehmen. Die Freundin aus dem Bett klingeln und ihr sagen, dass wir ihren Freund identifiziert haben. Das hat doch Zeit bis morgen, nein heute, früh. Wir sehen uns später“. Bevor der Hauptkommissar reagieren konnte, hatte sein Assistent das Gespräch offenbar beendet.

 

Arschloch“, grummelte Strecker und legte den Hörer auf.

 

Und nun?“, fragte auch Klaus Sehlmann zu allem Überfluss noch.

 

Wir müssen alles zusammentragen was wir über den Toten wissen“, antwortete Strecker.

 

Aber das haben wir doch längst“, sagte der Fallanalytiker. „Ihr Kollege hat gestern Akten für alle drei Kandidaten zusammengestellt. Was wir über die Typen in den Systemen hatten, ist dort enthalten. Haben Sie die Akten denn noch nicht gelesen?“.„Offenbar nicht“, dachte Klaus Sehlmann.

 

Zum Ärger des Hauptkommissars teilte Sehlmann ihm anschließend mit, dass er gedenke, sich ebenfalls nochmals in´s Bett zu legen. „Überlegen, wie wir weiter vorgehen, kann ich auch beim Rasieren oder Frühstücken. Ich bin um halb neun wieder da. Die Freundin des Toten ist ja Wirtin, da kommt sie eher spät in´s Bett und wird nicht so früh aufstehen. Und ich denke, zu ihr müssen wir als erstes. Gute Nacht!“.

 

Strecker war wieder allein. Und wütend. Und blamiert. Er hatte sich die Akten wirklich noch nicht angesehen. Er hatte gehofft, von Max Lohr ein Dossier zu bekommen. Wie üblich, schön ausgedruckt. Mit dem Computer mochte er nicht so richtig arbeiten. Nicht das er es nicht gekonnt hätte. Auf Texte, die er dort las, konnte er sich nur schlecht konzentrieren, überlas oder übersah Fakten oder vergaß sie sofort wieder. Aber nun hatte er keine Wahl. Bevor die Kollegen in das Büro kamen, musste er wissen, was sie über Moritz Donner wussten. Er setzte sich an den Rechner und rief die elektronische Akte von Moritz Donner auf.

 

 

 

Moritz Donner, geboren am 17.07.1971 in Bochum. 1977 übersiedelten seine Eltern nach Mülheim, wo er zuerst zur Grundschule und dann auf ein Gymnasium ging. Das verließ er mit der mittleren Reife und begann eine Lehre als Einzelhandelskaufmann in einem Mülheimer Edekamarkt. Nach der Lehre ging er für zwei Jahre zur Bundeswehr, Grundausbildung in Münster, anschließend diente er als Stabsunteroffizier in der Panzerbataillon 414 im niedersächsischen Lohheide. Nach seiner Entlassung arbeitete er bei diversen Handelsunternehmen, erst drei Jahre beim Kaufhof, dann ein knappes Jahr bei der Metro und schließlich weitere vier Jahre in einem Hit-Markt. 2009 übernahm er die Gaststätte „Harry´s Schenke“ in der Herler Straße. Er war Fußballfans, Mitglied des 1. FC Köln und spielte in seiner Jugend aktiv beim FC Germania Mülheim. Seine aktive Laufbahn endete mit Beginn seiner Dienstzeit bei der Bundeswehr, Mitglied des FC Germania war er aber noch immer, er besuchte auch des Öfteren Heimspiele der ersten Mannschaft und der Reservemannschaft. Neben zahlreichen Mitgliedern der Seniorenmannschaften besuchten auch ein knappes Dutzend Männer ,die der rechten Szene von Mülheim zugeordnet werden konnten, Harry’s Bar. Dass er deren Gesinnung nicht völlig konträr gegenüberstand, offenbarten auch seine Veröffentlichungen in den sozialen Netzwerken. Er war insbesondere auf „Fatelog“ sehr aktiv gewesen, der Plattform die sich in der jüngeren Vergangenheit als äußerst populäre Alternative zu „Facebook“ etabliert hatte. „Fatelog“ hatte die Funktionen von „Facebook“ weitgehend kopiert, optisch etwas aufgepeppt und sich binnen weniger Monate explosionsartig im Netz verbreitet. Dem Unternehmen wie den Nutzern bot sich die Chance eines Neuanfanges, die Chance eine vielleicht nicht ausnahmslos positiv bewertete Vergangenheit etwas in den Hintergrund zu drängen. Das „Facebook“ den Konkurrenten wegen geistigen Diebstahls mit Klagen überzog, schien niemanden zu stören. Schließlich war seinerzeit auch der Start von „Facebook“ seinerzeit nicht frei von Vorwürfen und Missverständnissen.

 

Moritz Donners Fatelogauftritt enthielt außergewöhnlich viele Likes für rassistische und reaktionäre Posts. Der Polizei auffällig war er durch Gewaltdelikte in den Jahren 2004 und 2006 geworden. In beiden Fällen war er in Schlägereien verwickelt, bei denen Jugendliche aus dem linken Spektrum verletzt wurden. Es gab jeweils Anzeigen wegen Körperverletzung, zu einer Anklage geschweige denn zu einer Verurteilung kam es aber nie. Der letzte Kontakt mit der Polizei resultierte aus dem Herbst 2015 als er, einer von vielen Zeugen im Zusammenhang mit einem Tötungsdelikt an einem jungen Asylbewerber, verhört wurde. Er war auffällig geworden, weil er sich an einer dem Delikt vorangegangenen Hetzjagd gegen das spätere Opfer in den sozialen Medien beteiligt hatte. Wie Kollege Lohr am gestrigen Nachmittag ermittelt und im Dossier nachgetragen hatte, war er seit einiger Zeit mit Anne Beu liiert. Sie wohnten zusammen und sie unterstützte ihn auch hinter dem Tresen und bei sonstigen Arbeiten in der Kneipe.

 

Kein unbeschriebenes Blatt“, aber auch kein konkreter Ansatzpunkt in der Akte, dachte der Hauptkommissar. Sie würden wühlen müssen. Sobald Lohr und Strecker auftauchten, würden sie Frau Beu besuchen. Die geplante Besichtigung des Tatorts durch den Fallanalysten würde warten müssen.