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Fatebug - Tödliches Netzwerk 28

 

28.

 

 

 

Er hatte sich den Stuhl in der Küche so hingestellt, dass er die Gartenpforte im Blick hatte, ohne dass er selbst gesehen werden konnte. Das Warten war zermürbend. Trotz der Anspannung oder gerade deshalb. Erschwerend kam hinzu, dass ihm seine Position einen unverstellten Blick auf die Uhr an der Wand der Küche gestattete. Die Zeiger bewegten sich im Zeitlupentempo, trotzdem das rhythmische Ticken mit brutaler Regelmäßigkeit den Ablauf der Zeit doch unüberhörbar machte. Immer wieder versicherte er sich mit einem Blick auf die, auf dem Küchentisch abgestellten Utensilien, ein kleines Glasfläschchen und ein Tuch, ob er auch vorbereitet war. War er. Das Atmen durch die Gesichtsmaske fiel ihm schwer. Aber Ablegen war keine Option. Nur kein Risiko eingehen. Der Weg war noch lang.

 

Dann war es so weit. Die Hausbewohnerin näherte sich dem Eingang, öffnete die Gartentür, ging hindurch, schloss sie wieder und kam den Weg zum Hauseingang herauf. Den Moment, den sie benötigte, um sich umzudrehen und die Pforte zu schließen, nutzte er, erhob sich, griff die Flasche samt Tuch vom Tisch und schlüpfte in den Hausflur. Dort drehte er den Verschluss der Flasche auf. Etwas ungeschickt, denn der Verschluss fiel ihm aus den Händen und rollte den Flur hinunter. Er hatte keine Zeit, ihn aufzuheben. Er hatte nur schnell etwas von der Flüssigkeit auf den Lappen getropft, war hinter die Haustür geschlüpft und hatte das Fläschchen auf dem Boden abgestellt, als er auch schon hörte, wie der Schlüssel in das Schloss glitt. Mit einem leisen Klacken entriegelte sich der Mechanismus, der Schlüssel wurde herausgezogen und die Tür öffnete sich mit einem leisen, ganz leisen Quietschen. Er hielt den Atem an.

 

Sie trat durch die Tür. Ohne nachzudenken, rein mechanisch verstaute sie den Schlüssel in ihrer Handtasche und wollte sich gerade umdrehen und die Tür schließen, als ihr Blick auf einen kleinen Gegenstand fiel, der auf dem Boden in der Mitte des Flurs lag. Just in diesem Augenblick fühlte sie, wie sich etwas, vielleicht ein Arm über ihre rechte Schulter und quer über ihre Brust schob und etwas Weiches, streng und übelriechendes, vor ihr Gesicht gedrückt wurde. Instinktiv atmete sie ein. Ein Fehler.

 

 

 

Als sie aufwachte, wünschte sie sich, dass das nicht geschehen wäre. Die Schmerzen im Unterleib waren unerträglich. Sie versuchte zu schreien. Aber etwas war an ihrem Mund. Erst jetzt registrierte sie, dass auch ihr Mund höllisch schmerzte, wenn auch bei weitem nicht so schlimm wie ihr Unterleib. Verzweifelt warf sie den Kopf nach links und rechts. Arme und Beine konnte sie kaum bewegen. Die Arme waren nach links bzw. rechts oben fixiert. Ihre Beine ebenso. Nur nach unten. Tränen liefen ihr aus den Augenwinkeln. Der Versuch zu Schreien erstickte zu einem tiefkehligen Stöhnen. Durch die mit Tränen verwässerten Augen bemerkte sie, wie sich etwas in ihr Blickfeld schob. Ein Kopf, ein Gesicht, mit einer Maske, wie bei einem Arzt. Hatte sie einen Unfall gehabt? War das die Ursache für ihre höllischen Schmerzen? Warum gab man ihr keine Betäubungsmittel?

 

 

 

Überraschenderweise verspürte er jetzt sogar so etwas wie Mitleid. Als sie so da lag. Verzweifelt versuchte zu schreien oder sich zu bewegen. Ob sie schon registriert hatte, was passiert war?

 

Kaum hatte er ihr das Tuch über Nase und Mund gepresst, hatten ihre Beine auch schon nachgegeben und sie war zusammengesackt. Er hatte sie, hinter ihr stehend, abgefangen. Fast wäre er aus dem Gleichgewicht geraten als er mit seinem rechten Fuß die Tür zustieß. Er hatte sie, rückwärtsgehend, den Flur entlang geschleift. Bis zur Kellertür. Dort hatte er sie abgelegt, die Tür geöffnet, sie wieder von hinten unter den Armen gepackt und die Kellertreppe heruntergezogen. Erstaunlich wie schwer selbst kleine schlanke Menschen werden, wenn kein Leben in ihnen ist. Sicher hatte sie sich bei der Prozedur Blessuren an den Beinen zugezogen, aber das sollte schon sehr bald ihr geringstes Problem sein. Er hatte sie weiter gezogen, bis in den Hobbyraum, sie mit dem Oberkörper vorwärts auf die Tischtennisplatte gelegt und dann ihre Beine gegriffen und auch diese auf die Platte gewuchtet. Anschließend hatte er sie auf den Rücken gedreht, die Arme und Beine abgespreizt und sie an den Händen und Füßen an den Tischbeinen fixiert. Das war diesmal schwieriger gewesen, als beim ersten Mal, als er die Kabelbinder direkt an den Tischbeinen festmachen konnte. Diesmal war der Weg zu weit gewesen; er musste die Kabelbinder mit Stricken verlängern. Aber das hatte er ja vorher schon erkannt, hatte sich überlegt, wie er das Problem lösen musste und selbst das Knoten machen hatte er geübt. Er musste sicher gehen, dass sie sich nicht befreien konnte.

 

Nachdem er sie fixiert hatte, ging er in die Ecke des Zimmers und schaltete die Kamera ein. Danach hatte er gleich begonnen. Ohne sich auszuruhen. Vielleicht um es ihr leichter zu machen. Sie aufzuschneiden und auszuweiden, so lange die Betäubung noch wirkte. Er hatte sich ein Skalpell gegriffen, hatte ihre Kleidungsstücke zertrennt, ihr die Reste vom Leib gezogen, so daß sie vom Oberkörper bis zum Unterleib nackt war. Als Nächstes hatte er sich die Sprühflasche gegriffen und die entblößten Bereiche ihres Körpers mit einem Desinfektionsmittel besprüht. Dann hatte er wieder zum Skalpell gegriffen.

 

Um sein Werk zu beenden, hatte er nur wenige Minuten gebraucht. Er war kein Chirurg, aber er hatte sich gründlich mit der menschlichen Anatomie befasst. Und er brauchte nicht so vorsichtig zu Werke zu gehen wie ein Chirurg. Fehler waren nicht tragisch. Sie würden das Ende nur beschleunigen.

 

Heftige Zuckungen und gurrende Laute holten ihn in die Realität zurück. Sie war wieder aufgewacht. Wollte sich bewegen und konnte nicht. Wollte schreien und konnte nicht. Wollte verstehen, aber verstand nicht.

 

Er stand jetzt hinter der Kamera und sah sich die Aufnahme live auf dem Display an. Irgendwie war das leichter für ihn. Abstrakter, weniger persönlich. Obwohl auch die Aufnahme beängstigend war. Aber deshalb wurde sie ja gemacht. Er ließ die Kamera noch einige Minuten laufen. Betrachtete die Szene ausschließlich durch das Display.

 

Ihre Augen waren weit aufgerissen. Tränen rannen über ihre Wangen. Undeutlich konnte sie ein Licht über ihrem Körper erkennen. War das eine OP-Lampe? Nun schmerzte auch ihr Mund wie wahnsinnig. Sie hatte sich offenbar ein Stück ihrer Zunge abgebissen. Warum gab man ihr kein Schmerzmittel?

 

Er konnte es nicht mehr mitansehen. Er schaltete die Kamera aus. Ging zu seiner Tasche und nahm eine Spritze und ein kleines Fläschchen mit einer klaren Flüssigkeit heraus. Er zog die Spritze auf, wählte die Dosis großzügig und gab ihr die Injektion.

 

Es dauerte nur Sekunden. Sie hörte auf sich zu bewegen. Und auch die Laute verstummten. Aber sie atmete noch weiter.

 

Er war hier fertig. Packte seine Utensilien. Die blutigen Teile kamen zuerst in einen Plastikbeutel, den er sorgfältig verschloss und dann im Werkzeugkoffer verstaute. Dann baute er die Kamera ab und packte sie samt Stativ in die Tasche. Zuletzt nahm er noch einen Plastiksack aus dem Werkzeugkoffer. Den würde er für die mit Blut kontaminierte Kleidung benötigen. Und Arbeitshandschuhe. Um die Haustür zu öffnen und zu schließen. Er warf einen letzten Blick auf die reglose Frau. Ihr Brustkorb hob und senkte sich noch. Wenn die Dosis sie nicht tötete, würde es noch lange dauern. Heute war Mittwoch. Die Putzfrau kommt erst am nächsten Montag. Auch das hatte er sorgfältig recherchiert. Bis dahin würde sie aber auf keinen Fall durchhalten.

 

Er löschte das Licht, verließ den Kellerraum, zog die Tür hinter sich zu. Als er in den Flur kam, fiel ihm sofort der Verschluss der Flasche auf, der mitten auf dem Gang lag. Das erinnerte ihn auch wieder an die Flasche mit dem Betäubungsmittel. Sie stand noch neben der Tür. Offen. Ob das dem Betäubungsmittel geschadet hatte? Beim nächsten Mal würde er sich nicht mehr darauf verlassen. Lieber ein neues Fläschchen nehmen. Er hatte ja genug besorgt. Er hob die Verschlusskappe auf und ging zur Tür. Dort griff er sich das Fläschchen, verschloss es und verstaute es im Werkzeugkoffer. Dann zog er sich die Schutzkleidung aus, verstaute auch diese in der Werkzeugtasche und zog sich die Arbeitshandschuhe an. Er nahm sein Gepäck, öffnete die Tür, schlüpfte durch und zog die Tür hinter sich zu. Es war schon dunkel geworden. Zeit für den Feierabend. Er musste sich ausruhen. Das nächste Spiel war auswärts. In einer anderen Stadt. Er würde über das Wochenende verreisen müssen.