· 

Fatebug - Tödliches Netzwerk 34

 

34.

 

 

 

Eine gute Stunde später trafen sie am neuen Tatort ein. Das Haus lag an einer kaum befahrenen Straße im Ortsteil Bonn Dottendorf, im Rochusweg. Lange suchen musste sie nicht.

 

Vor dem Haus und den Nachbarhäusern hatte sich eine ganze Armada von Einsatzfahrzeugen, Polizei, Krankenwagen, Spurensicherung, Kriminalpolizei und ein Leichenwagen versammelt. Viele von ihnen hatten das Blaulicht noch eingeschaltet.

 

Als sie ausstiegen, wurde die durch die Signallichter und Scheinwerfer bizarr illuminierte Szene durch ein Blitzlichtgewitter verstärkt. Und sofort wusste Hauptkommissar Strecker, dass sie einen Fehler gemacht hatten. Die Presse war schon da. Und es konnte nicht mehr lange dauern, bis sich Reporter der lokalen Medien fragen würden, was Kölner Ermittler an einem Bonner Tatort machen. Und dann würde es auch nicht mehr lange dauern, bis sie dies die Behörden fragen würden. Wenn sie überhaupt fragen würden, bevor sie öffentlich spekulierten. Ihre weiteren Schritte würden sie nur noch unter einer dauerhaften Beobachtung machen können.

 

Sie hielten ihre Dienstausweise in die Höhe und steuerten zielgenau auf die Haustür zu. Vor der Tür stoppte sie ein uniformierter Beamter, rief aber einen Namen in das Haus, worauf nur wenige Augenblicke später ein in Schutzkleidung gehüllter Beamter in der Tür erschien.

 

Hauptkommissar Warnecke“, stellte sich der Beamte vor. „Ich nehme an, sie sind die Kölner Kollegen. Bevor wir uns unterhalten wollen sie bestimmt einen Blick auf den Tatort werfen. Das wird kein schöner Anblick. Aber wenn unsere Informationen und Vermutungen stimmen, sollte der Anblick sie zumindest nicht mehr überraschen. Aber vorher bitte ich sie, sich ebenfalls zu verkleiden. Der Kollege Wuttke holt ihnen Schutzkleidung. Wenn sie die übergezogen haben, kommen sie in den Keller hinunter. Den Flur runter und dann links. Und dann wieder links und geradeaus durch die Tür. Nicht zu verfehlen.“

 

Bald darauf standen die drei vor der Tischtennisplatte. Die beiden Kölner Kommissare bleich im Gesicht, der Fallanalyst übergab sich in eine Plastiktüte. Gott sei Dank, hatte der Beamte am Eingang darauf bestanden, dass sie sich nicht nur umzogen, sondern auch sicherheitshalber jeder eine Tüte mitnahmen. Das hatte der Spurensicherung den Tatort gerettet.

 

Statt eines Ausdrucks des Bedauerns erntete Klaus Sehlmann nur einen wütenden Blick von Hauptkommissar Strecker. „Bürohengst vom LKA. Fallanalytiker“, erläuterte Strecker seinem Bonner Kollegen, der ebenfalls im Raum war.

 

Der Fall war klar. Das war dieselbe Handschrift. Auch die Frau war vom Brustbein bis kurz über den Schritt aufgeschlitzt worden. Ihr Darm endete an ihrem Mund, wo er mit Stahlklammern befestigt war. Zumindest teilweise, was allerdings nicht mangelnder Sorgfalt des Täters zuzurechnen war, sondern der Tatsache geschuldet war, dass der Notarzt die Verbindung gelöst hatte. Dem Verwesungsgeruch nach, der im Zimmer hing, war die Frau schon länger tot.

 

Sie ist seit ungefähr zwei Tagen tot“, bemerkte der Gerichtsmediziner. „Wahrscheinlich ist sie an ihrer Zunge erstickt. Die muss sie sich selbst abgebissen haben. Das sind momentan natürlich nur Vermutungen“.

 

Näheres nach der Obduktion. Ich weiß“, fiel ihm Strecker in das Wort. „Ich gehe wieder nach oben. An die frische Luft. Hier werden wir nichts finden. Er ist sorgfältig“. Damit verließ er den Keller.

 

Hauptkommissar Warnecke folgte ihm vor die Tür.

 

Was wissen sie über die Frau?“, fragte Strecker.

 

Noch nicht viel. Sie ist ca. Mitte 40. Sie heißt Karin Schuster und war wohl Künstlerin. Unverheiratet. Dem Anschein nach allein lebend. Das war´s bis jetzt“.

 

Wann wurde sie gefunden?“

 

Heute, am späten Vormittag. Ihre Putzfrau kommt immer montags. Ihr war der Leichengeruch aufgefallen. Ihre Nase hat sie in den Keller geführt. Nachdem sie die Leiche entdeckt hatte, hat sie den Notruf gewählt. Angefasst hat sie dort unten nichts. Sagt sie jedenfalls und auch hier oben ist sie wegen des Geruchs gar nicht zum Putzen gekommen.

 

Fünf Minuten später war ein Streifenwagen vor Ort. Die Kollegen haben uns alarmiert. Als ich den Schlamassel gesehen hatte, war mir gleich klar, dass es was mit ihrem Fall zu tun haben muss. Deshalb haben meine Kollegen sie angerufen. Und das LKA. Die werden auch gleich hier sein.“

 

Toll“, kommentierte Strecker. „Dann sind wir den Fall ja gleich los. Danke, dass sie uns angerufen haben. Wir telefonieren morgen, wenn sie mehr wissen. Meine Kollegen und ich fahren dann erst mal wieder zurück nach Köln“.

 

Besser nicht“, entgegnete Warnecke. „Wir sollen warten, bis die Kollegen vom LKA da sind. Und sie dann unterstützen. Nach Kräften. Und sofort“.

 

Mürrisch riss sich Strecker seine Schutzkleidung herunter und verzog sich in Richtung Dienstwagen. Das war das Letzte, was er an diesem beschissenen Montag noch brauchte. Eine Degradierung zum Assistenten eines smarten Kollegen vom LKA. Denn so viel war klar. Durch den zweiten Mord war das keine rein Kölner Angelegenheit mehr. Und somit eine Gelegenheit für das LKA, den Fall an sich zu reißen. Na ja, dann würden die sich auch mit der Journaille herumschlagen müssen. Gerade fing er an, sich mit der Situation abzufinden, da klingelte sein Handy. Ein kurzer Blick auf das Display und den dort angezeigten Namen und seine Stimmung war wieder ganz unten. Kriminalrat Brandt, sein Chef. Er nahm den Anruf an und bereute es sofort.

 

Guten Tag Strecker“, schallte es jovial aus dem Lautsprecher. „Sind sie schon in Bonn am Tatort?“.

 

Als Strecker bejahte setzte der Kriminalrat gleich nach. „Sind die Kollegen aus Düsseldorf schon da?“. „Nein?“, fuhr der Kriminalrat fort, als Strecker nicht sofort antwortete. „Dann werden Sie sie ja gleich kennenlernen. Es dürfte Sie ja nicht überraschen, dass die Kollegen den Fall übernommen haben. Wir werden natürlich mit dem LKA zusammenarbeiten. Alle. Haben wir uns da verstanden? Sie bleiben an dem Fall dran, aber die Leitung haben die Kollegen aus Düsseldorf. Haben wir uns verstanden? Ich kann sie nicht verstehen.“

 

Dann kehrte ein peinliches Schweigen ein. Es schien endlos zu dauern, bis der Hauptkommissar mit einem „Ja“ antwortete. „Dann haben wir uns ja wirklich verstanden. Gott sei Dank. Grüßen Sie mir die Kollegen. Viel Erfolg“. Damit war das Gespräch beendet.

 

Kurz darauf preschte eine schwarze Limousine mit eingeschaltetem Blaulicht die Straße herauf.

 

Die Kavallerie“, murmelte Strecker und schlenderte langsam zurück zur Eingangstür.

 

Der Wagen hielt direkt vor der Eingangspforte, mitten auf der Straße. Kaum standen die Räder still, flogen die Türen auf und drei Personen stiegen aus. Fahrer und Beifahrer waren zirka Ende 20, die Frau, die aus dem Fond ausstieg, war schwer einzuschätzen. Kurz bevor sie, an der Spitze der Gruppe, die an der Haustür wartenden Kriminalisten erreichte, gelang es ihr, ihr Telefonat zu beenden und das Handy in der Tasche ihre Jacketts verschwinden zu lassen.

 

Ich bin Hauptkommissarin Lydia Garber und leite ab jetzt die Ermittlungen. Oberkommissar Wink und Kriminalassistent Wolf unterstützen mich dabei. Ich möchte mir zuerst ein Bild vom Tatort machen. Herr Wolf, sie kümmern sich bitte darum, dass die Kommunikationstechnik der Toten, Computer, Handy und so weiter unverzüglich in die Kriminaltechnik kommt. Ich möchte, dass die Kollegen uns noch heute die Geräte zugänglich machen. Insbesondere interessieren uns auch der Mailverkehr und die Telefonverbindungen. Sie bleiben mit den Kollegen in Kontakt. Wir treffen uns nachher im Bonner Präsidium. Wer ist der leitende Bonner Kollege?“

 

Ein gelungener Auftritt. Wohl zu viele US-Krimis im Fernsehen geschaut“, dachte sich Strecker und verdrehte kurz die Augen.

 

Ich, Hauptkommissar Warnecke“, stellte sich der Bonner Kollege vor und streckte Frau Garber eine Hand entgegen. Sie nahm seine Einladung an.

 

Erfreut sie kennenzulernen“, bemerkte Frau Garber. „Können sie uns zwei Büroräume mit allem Pipapo und einen Besprechungsraum organisieren?“

 

Gerne“, erwiderte Hauptkommissar Warnecke und begrüßte die beiden Mitarbeiter von Frau Garber ebenfalls mit Handschlag.

 

Dann müssen sie Hauptkommissar Strecker sein“, sprach sie den Kölner Kommissar mit einem breiten Grinsen an und hielt ihm auffordernd ihre Hand hin. „Auf unsere Zusammenarbeit freue ich mich besonders. Ich habe schon viel von ihnen gehört“.

 

Bevor Strecker etwas erwidern konnte, hatte sie sich schon abgewendet. „Ah Kollege Sehlmann. Ich bin sehr froh, dass sie mit an Bord sind.“

 

Sie nahm sich den Schutzanzug, den ihr der an der Tür postierte Schutzpolizist reichte, zog ihn samt der Überschuhe an und verschwand im Haus.