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Fatebug - Tödliches Netzwerk 35

 

35.

 

 

 

Gute zwei Stunden später, kurz nach 19:00 Uhr, trafen sich die Ermittler in einem Besprechungsraum im Bonner Polizeipräsidium. Anwesend waren Frau Garber und die Herren Wink, Wolf und Sehlmann vom LKA, die Kölner Kripobeamten Strecker und Lohr, Hauptkommissar Warnecke und Kommissar Berthold Bauer, der das Bonner Team verstärkte. Nachdem letzterer sich vorgestellt hatte, ergriff Hauptkommissarin Garber das Wort.

 

Ok. Ich denke, niemand hier im Raum hat einen Zweifel daran, dass dieser Mord auf das Konto des gleichen Täters geht, der den Kölner Mord begangen hat. Deshalb halte ich es für das Beste, wenn uns die Kölner Kollegen zuerst über den Stand ihrer Ermittlungen informieren“.

 

Ich finde, wir sollten uns auf morgen vertagen und zuerst die Bonner Kollegen ihre Hausaufgaben machen lassen. Dann können wir die Ergebnisse zusammentragen und entscheiden wie wir weiter vorgehen“, sagte Hauptkommissar Strecker mit einem unübersehbaren Blick auf seine Uhr.

 

Danke für den Vorschlag“, entgegnete die Hauptkommissarin. „Aber ich würde lieber bei dem von mir vorgeschlagenen Vorgehen bleiben. Wollen Sie uns das erzählen oder soll das ihr Kollege übernehmen?“.

 

Sie müssen wohl unbedingt Ihr Ding durchziehen. Ohne Rücksicht auf die Belastung der Kollegen“, attackierte Strecker weiter.

 

Ich habe meine Gründe. Wenn wir über ihre Informationen verfügen, wissen wir bei der Untersuchung des zweiten Mordes bereits worauf wir achten müssen und können Parallelen leichter erkennen. Davon abgesehen macht es Ihnen wohl nichts aus, wenn ihre Bonner Kollegen über Gebühr belastet werden. Das war übrigens das letzte Mal, das ich eine meiner Entscheidungen begründen werde“, erwiderte Frau Garber um gleich anschließend klar zu stellen:

 

Meine Herren, Herr Hauptkommissar Strecker, ich leite diese Ermittlungen. Das bedeutet nicht, dass ich das besser kann, aber dies ist jetzt ein Fall des LKA und ich habe in dieser Runde den höchsten Dienstgrad der Mitarbeiter des LKA.

 

Und deshalb werden wir so verfahren, wie ich das für richtig halte. Ratschläge sind willkommen, wenn ich die aber nicht annehme, braucht es weder kritische Bemerkungen noch irgendwelcher Diskussionen. In meinem Team gibt es im Übrigen auch keine Alleingänge oder Geheimnisse. Letzteres bedeutet, dass alle Informationen auch in der Fallakte dokumentiert werden. Herr Hauptkommissar Strecker, das gilt für jeden. Falls sie das noch nicht können, hilft ihnen Herr Wolf gerne. Damit wir uns nicht missverstehen. Er wird es ihnen zeigen, aber nicht ihre Arbeit machen. Und wer diese Regeln nicht akzeptiert, sollte jetzt gehen“.

 

Es folgte ein längeres, eisiges Schweigen. Doch niemand verließ den Raum. Max Lohr grinste wie ein Honigkuchenpferd. Und übernahm die Schilderung der bisherigen Ermittlungen. Die anderen lauschten aufmerksam. Hauptkommissarin Garber und Kriminalassistent Wolf arbeiteten nebenher an ihren Laptops. Strecker drehte gelangweilt einen Stift zwischen den Fingern.

 

Die Zeiger der Uhr im Konferenzraum bewegten sich auf Mitternacht zu, als Max Lohr langsam zum Ende kam. Die Müdigkeit ergriff mehr und mehr Besitz von allen.

 

Ok“, ergriff Frau Garber das Wort, als der Kommissar seinen Bericht beendete. „Nun ist es an der Zeit, den Vorschlag von Hauptkommissar Strecker aufzugreifen. Die Kollegen Sehlmann, Wolf und Bauer bitte ich umgehend alles, was wir über die Tote in den Akten haben oder im Netz finden, auszugraben und zusammenzustellen. Das wird leider noch eine lange Nacht für sie. Wir treffen uns hier wieder um 8:00 Uhr. Unser Büro hat in einem nahe gelegenen Hotel Zimmer für alle reservieren lassen. Auch für die Kölner Kollegen, für den Fall, dass sie heute nicht mehr zurückfahren wollen. Die Adresse finden sie in einer SMS auf ihren Mobiltelefonen. Herr Kollege Strecker, ich habe festgestellt das uns Kommissar Lohr deutlich mehr erzählt hat als in ihren Berichten steht. Das sollten sie schleunigst ergänzen“.

 

Ich übernachte im Hotel“, sagte Max Lohr. Eine gemeinsame Fahrt mit Strecker nach Köln war das Letzte, was er jetzt noch brauchen konnte.

 

Während Hauptkommissar Strecker allein nach Hause fuhr, machte sich die Nachtschicht an die Arbeit. Sie schlugen für die Nacht ihr Lager in dem für die Gäste reservierten Büro auf. Der Fallanalytiker übernahm die Recherchen in den Datenbanken der Behörden, Kommissar Bauer konzentrierte sich auf das Internet, Kriminalassistent Wolf kümmerte sich um die Zusammenstellung der Resultate.

 

Karin Schuster, war Künstlerin. Gewesen. Sie war 42 Jahre alt geworden. Ledig. Keine Kinder. Allein lebend in Bonn Dottendorf. Keine Vorstrafen.

 

Bevor sie vor sechs Jahren in das Einfamilienhaus im Rochusweg einzog, hatte sie in einer Zweizimmerwohnung in der Ermekeilstrasse gewohnt. Anlass für den Umzug war offenbar der Tod ihrer Mutter, die seit dem Tod ihres Mannes acht Jahre allein in dem Haus gewohnt hatte. Neben dem Haus hatte Karin Schuster auch ein beträchtliches Vermögen geerbt, was ihr eine Konzentration auf ihre künstlerischen Aktivitäten erlaubte. Vorher hatte sie noch halbtags als Sekretärin im Vertrieb der Bonner Fahnenfabrik gearbeitet.

 

Ihre künstlerischen Erfolge hielten sich bis dato in Grenzen. Bisher hatte sie nur eine Ausstellung, im vorletzten Sommer, im Bonner Frauenmuseum, mit dessen Leiterin sie offenbar gut befreundet war. Über Verkäufe ihrer Bilder war nichts in Erfahrung zu bringen. Da sich im Keller allerdings ca. 30 offenbar von ihr angefertigte Gemälde befanden, war sie entweder sehr fleißig oder nicht sehr geschäftstüchtig.

 

Sie hatte eine Website auf der neben einer persönlichen Vorstellung und einem Video, das sie bei der Arbeit zeigte, auch die meisten ihrer Bilder zu sehen waren. Auch ein Bildbericht über eine von ihr vor wenigen Wochen veranstaltete Vernissage war darin zu sehen.

 

Im Internet fand sich lediglich ein kurzer Bericht über die Ausstellung im Frauenmuseum.

 

Über ihr Privatleben hatten sie noch nichts.

 

Das änderte sich schlagartig, als sie Zugriff auf ihr Elektronik Equipment hatten. Gegen 3:00 Uhr morgens rief sie die Kriminaltechnik an und teilte ihnen mit, dass sie sowohl den Laptop als auch das Handy der Toten gehackt hatten. Zudem hatten auch Mitarbeiter ihres Mobilfunkproviders eine Nachtschicht eingelegt, so dass sie auch eine Liste mit ihren Telefonverbindungen und ein Bewegungsprofil auf Basis der von ihrem Handy durchquerten Mobilfunkzellen hatten.

 

Das war genau die Ablenkung, die Kriminalassistent Bauer an frühen Morgen brauchte. Es dauerte Stunden, bei höchster Konzentration bis er den Terminkalender mit dem Bewegungsprofil abgeglichen hatte und somit in der Lage war, die Bewegungen der Toten in den letzten Stunden vor ihrem Ableben nachzuvollziehen und auf einer Karte zu visualisieren. Langsam bereute er, dass er seine beiden Kollegen, nachdem sie die Geräte aus der Kriminaltechnik abgeholt hatten, in`s Bett geschickt hatte. Vielleicht wäre es zu zweit oder dritt doch schneller gegangen. Es war bereits nach 6:00 Uhr in der Früh als er damit anfangen konnte, die Telefonkontakte aus ihrem Handy in einer EXCEL-Tabelle zu katalogisieren. Dazu wurden sie chronologisch angeordnet und den Positionen die jeweiligen Nummern und zugehörigen Gesprächspartner bzw. Anschlussinhaber dazu geordnet. Anschließend synchronisierte er Bewegungsprofil und Kommunikationsprofil, indem er mit Angabe der jeweiligen Uhrzeit und des Gesprächspartners die Telefonanrufe auf der Bewegungskarte markierte. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er noch eine gute Stunde Zeit hatte, bis sich das Team wieder hier im Konferenzraum versammeln würde. Diese Stunde nutze er, die länger vergangenen Telefonanrufe in der Liste zu ergänzen. Dadurch wurde es leichter möglich, die Gesprächspartner nach der Gesprächshäufigkeit statistisch zu gewichten, also die wesentlichen von den weniger wesentlichen Kontakten zu trennen.

 

Er war noch in die Arbeit vertieft, als kurz vor 8:00 Uhr die Tür aufging und Hauptkommissarin Garber in den Raum rauschte. Sofern sie eine Begrüßung ausgesprochen hatte, war diese in dem Knallen, mit dem sie zuerst die Tür zuschlug und anschließend einen Stapel Zeitungen auf den Tisch warf, untergegangen. Es waren nur wenige Sekunden vergangen, dann ging die Tür wieder auf und Oberkommissar Wink betrat den Raum. Auch er schenkte sich die Begrüßung und rief stattdessen nur „Ich habe es auch schon gelesen“ in den Raum.

 

Während sich die beiden Ermittler noch fragend anstarrten, nutze Kriminalassistent Wulf die Zeit, um aufzuspringen und einen Blick auf die Zeitungen zu werfen, die die Hauptkommissarin auf den Tisch gelegt hatte.

 

Mord in Bonner Vorort“ stand dort auf Seite eins rechts unten in einem kleineren einspaltigen Artikel des in dieser Region weit verbreiteten Anzeigers. Zwar wurde im Artikel auch über einen möglichen Bezug zu dem früheren Mord in Köln spekuliert, aber das konnte unmöglich ausgereicht haben, um seine Chefin in derartige Rage zu versetzten. Seine Verwunderung war beendet, als er die Zeitung beiseiteschob und auf das Titelblatt des regionalen Boulevardblattes schaute.