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Fatebug - Tödliches Netzwerk 39

 

39.

 

 

 

Yoga. Ausgerechnet in das Yoga-Zentrum hatten sie ihn geschickt. „Na ja, das Frauenmuseum wäre auch nicht viel besser gewesen“, dachte sich Strecker, als Oberkommissar Wink ihren Dienstwagen auf dem kleinen Parkplatz des Yoga-Zentrums in der Kessenicher Straße parkte. Die beiden Ermittler stiegen aus, gingen die paar Schritte bis zur Eingangstür, traten ein und steuerten auf den Empfangstresen, rechts von der Eingangstür zu. Die hinter dem Tresen stehende junge Frau lächelte ihnen professionell zu und fragte die beiden Herren nach ihrem Anliegen.

 

Wir würden gerne mit dem Chef oder der Chefin dieses Etablissements sprechen“, eröffnete ihr Strecker ohne ihren Gruß zu erwidern, wobei er seinen Worten mit seinem Dienstausweis Nachdruck verlieh, den er der Empfangsdame vor die Nase hielt.

 

Wenn Sie einen Moment Platz nehmen mögen“, flötete die junge Dame unbeeindruckt, wobei sie mit ihrer linken Hand auf zwei Sessel wies, die an der Wand neben der Tür platziert waren. „Ich schaue, ob ich Frau Scholz finden kann und melde sie dann gleich an“.

 

Wir bitten darum“, konterte der Hauptkommissar ohne allerdings Anstalten zu machen, sich auch nur einen Zentimeter vom Tresen weg zu bewegen. Die junge Dame klemmte sich den Telefonhörer mit ihrer linken Schulter an das Ohr und wählte flink mit ihrem rechten Zeigefinger eine dreistellige Nummer auf dem Tastenfeld ihres Telefons. „Hallo Kerstin“, sprach sie nach wenigen Sekunden in die Muschel. „Hier sind zwei Herren von der Polizei, die dich sprechen wollen“. „Nein, sie haben nicht gesagt, worum es geht“, ergänzte sie nach kurzem Schweigen. „Frau Scholz würde gerne wissen...“. Diese Worte hatte sie an die beiden Ermittler gerichtet, als Strecker ihr das Wort abschnitt. „Das erzählen wir ihr dann schon selber“, rief er mit bewusst hoher Lautstärke, so dass es unnötig war, dass die Empfangsdame die Worte an ihre Chefin weitergab. „Durch die Tür und dann bitte gleich das erste Büro rechts“, sagte die junge Frau, während sie den Hörer zurück auf das Telefon legte.

 

Die Kommissare setzten sich in Bewegung und standen wenige Sekunden später im Büro von Frau Scholz. Frau Scholz, ungefähr Mitte 30, groß, mindestens 1 Meter 80, schlank, braune Augen und ebensolche kurze Haare, kam ihnen entgegen, stellte sich vor, reichte den beiden Gästen die Hand und bat sie, auf den beiden vor dem Schreibtisch stehenden Stühlen Platz zu nehmen. „Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie anschließend und nahm ihrerseits hinter dem Schreibtisch Platz.

 

Sie kennen Frau Karin Schuster?“, fragte Kriminaloberkommissar Wink.

 

Ja. Karin kommt seit über drei Jahren regelmäßig zu uns ins Center. Mehrmals wöchentlich, sie ist eine unserer treuesten Kundinnen. Warum fragen Sie nach ihr?“

 

Karin? Kennen Sie sie näher?“, hakte Hauptkommissar Strecker nach, ihre Frage einfach ignorierend.

 

Ach so. Wir duzen uns hier alle. Aber Karin kenne ich wirklich sehr gut. Wir haben uns auch privat ab und an mal getroffen. In Cafes oder haben hin und wieder auch Kunstevents besucht. Aber vielleicht können sie mir zuerst mal erklären, was es mit dieser Fragerei auf sich hat?“

 

Hatten sie eine intime Beziehung mit Frau Schuster?“, fragte Strecker unbeirrt weiter.

 

Nein, wie kommen Sie denn da drauf“, antwortete Kerstin Scholz lachend. „Ich mache zwar Yoga mit Frauen. Mehr aber nicht. Jetzt möchte ich aber zuerst wissen, warum sie hier sind? Vorher beantworte ich keine Frage mehr. Keine einzige!“

 

Frau Schuster ist tot“, antwortete Oberkommissar Wink, bevor Strecker reagieren konnte. „Sie wurde ermordet“.

 

Danach nahm das Gespräch einen erwartbaren Verlauf. Die üblichen Fragen nach Alibi, Kontakten und Vermutungen brachten letztlich aber keine vielversprechenden Ergebnisse, abgesehen von drei Namen von Freundinnen, mit denen Karin Schuster mehr oder weniger regelmäßig zusammen in den Yoga-Stunden war. Hinzu kamen die Namen von zwei Trainerinnen, die die Gruppe in der jüngeren Vergangenheit gearbeitet hatte.

 

Die Adressen der fünf Damen bekamen die beiden Ermittler von der jungen Frau am Empfangstresen. Das ging so schnell, dass die beiden Kommissare bereits vor 13:00 Uhr zurück im Präsidium waren. Noch rechtzeitig zum Mittagessen in der Kantine. Dort trafen sie auf das Team Warnecke/Lohr. Sie hatten ihren Besuch im Frauenmuseum ebenfalls ohne hoffnungsvolle Spuren absolviert. Die Erkenntnisse waren ebenfalls nicht berauschend.

 

Schon vor 14:00 Uhr trafen sie sich im Versammlungsraum, um mit den Kollegen Sehlmann und Wolf die Ergebnisse zu dokumentieren. Kurz vor 14:30 Uhr kam auch Hauptkommissarin Garber in den Raum, dicht gefolgt von Kommissar Bauer.

 

Wenn es in Bezug auf Verdachtsmomente Favoriten gab, gehörten sie zweifelsohne zur Familie der toten Lehrerin. Beide Elternteile hatten sich keine Mühe, gegeben den Hass auf die Tote auch nur annähernd zu verbergen. Ebenso wenig ihre Freude über das Ableben von Karin Schuster.

 

Den Grund hatten die Lamprechts den beiden Polizisten erklärt. Ihre Tochter Heidi war Lehrerin an einem Bonner Gymnasium gewesen. Vor ungefähr einem Jahr hatte sie Karin Schuster kennengelernt, auf einer Vernissage in Godesberg. Sie verliebten sich ineinander. Damit, so die Eltern hatten sie kein Problem. Dass ihre Tochter gleichgeschlechtlich orientiert war, wussten sie seit Jahren. Allerdings hatte sie dies immer sorgfältig vor der Öffentlichkeit verborgen. Insbesondere wollte sie auf keinen Fall, dass ihre Beziehungen an der Schule publik wurden. Das sah Frau Schuster anders. Sie hielt es für einen Fehler, sich zu verstecken, sah im Outing ein wichtiges Bekenntnis der Frauenbewegung. Zwei Wochen waren die Tochter und Frau Schuster deshalb im Streit. Als es ihr nicht gelang, die Tochter zu überzeugen, hatte sie die Beziehung auf ihrer Fatelogseite gepostet, samt Foto und Liebeserklärung. Es kam, wie ihre Tochter befürchtet hatte. Sie wurde an der Schule verspottet, beschimpft, konnte ihren Unterricht nicht mehr bewältigen. Das auf die Kühlerhaube ihres Autos gekratzte Wort „Lesbe“ war noch ein vergleichsweise harmloser Angriff gewesen. Anfangs hoffte die Tochter noch, dass sich der Sturm legen würde. Als die Hetzjagd auch nach vier Wochen unvermindert weiter ging, meldete sie sich krank. Doch statt Ruhe brachte das die Anfeindungen nur noch nach Hause in ihr privates Umfeld. Sie nahm Tabletten, fing an zu trinken und irgendwann hatte sie dann zu viel von beidem zusammen genommen. Ihre Beziehung mit Frau Schuster war im Übrigen mit dem erzwungenen Outing beendet. Sie haben sich nie wiedergesehen. Frau Schuster hatte es auch nie für nötig befunden, sich zu entschuldigen. Als sie dann bei der Beerdigung auftauchte, war ihr der Vater an die Gurgel gegangen. Damit war der Fall dann endgültig auch in der Presse und auch die Eltern wurden belästigt. Natürlich hatte auch Frau Schuster einen Shitstorm auf ihrer Fatelogseite abbekommen. Auch Drohungen waren dabei. Unter anderem vom Vater der Lehrerin. Zudem hatten die Eltern nur ein schwaches Alibi für den letzten Mittwoch, den Tatzeitpunkt. Sie waren zu Hause. Zusammen. Allein. Kein Besuch, keine Anrufe.

 

Sie hatte sie für den frühen Abend, gegen 18:00 Uhr, ins Präsidium bestellt.

 

Zeit für die Pressekonferenz“, seufzte Hauptkommissarin Garber. „Ich gehe hoch zu Frau Dr. Garidis. Ich denke, ich bin gegen 17:00 Uhr zurück. Dann möchte ich erste Theorien oder zumindest Ermittlungsansätze hören“.

 

Ich wollte sie auch gerade anrufen“, eröffnete Frau Dr. Garidis der Hauptkommissarin. „Wir haben ein Riesenproblem. In Hamburg-Blankenese wurde eine weitere Leiche gefunden. Genauso zugerichtet. Ein Student. Tatzeitpunkt wahrscheinlich Samstag. Ihr Team wird gerade informiert. Wir können nur hoffen, dass die Presse davon noch nichts weiß“.

 

Als Lydia Garber kurz nach 17:00 Uhr in den Konferenzraum kam, herrschte unter den Ermittlern ein eigentümliches Schweigen. Es gab auch keine Fragen nach dem Verlauf der Pressekonferenz.

 

Was ist?“, fragte die Hauptkommissarin.

 

Ich denke, wir haben den Zusammenhang zwischen den Morden gefunden“, sagte Max Lohr.