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Fatebug - Tödliches Netzwerk 40

 

40.

 

 

Die Haushälterin war noch nicht ansprechbar. Man hatte sie aufgegriffen, als sie schreiend über die Straße gelaufen war. Ein Nachbar hatte sie erkannt und dem herbeigerufenen Streifenwagen die Adresse ihres Arbeitsplatzes genannt. Die Streifenpolizisten hatten daraufhin das Grundstück durchsucht und in dem Nebengebäude den Leichnam entdeckt. Es gab zwar noch keinen pathologischen Befund, aber der Zusammenhang mit den Morden im Rheinland war unübersehbar. Das Opfer war aufgeschlitzt, sein Darm war an seinen Mund getackert. Zweifel waren ausgeschlossen.

 

Das Opfer, Steffen Wehmeier, Student der Betriebswirtschaft, Sohn einer reichen alteingesessenen Hamburger Kaufmannsfamilie war 27 Jahre alt geworden. Er wurde in seinem Domizil, einem Nebengebäude auf dem Grundstück der Villa seiner Eltern gegen 09:30 Uhr tot aufgefunden. Zum Tatzeitpunkt bzw. während seines langen Sterbens war er offensichtlich allein auf dem Grundstück. Seine Eltern waren auf einer Dienstreise in den USA. Die Haushälterin hatte am Wochenende offenbar frei. Heute Morgen war sie wohl zurückgekommen, wann konnte noch nicht ermittelt werden und hatte gegen 09:00 Uhr die Leiche entdeckt.

 

Steffen Wehmeier, so hatten die Informationen der Hamburger Kollegen bzw. zwischenzeitlich angestellte Recherchen der lokalen Ermittler ergeben, war ein Muster für das Klischee des studierenden Sohnes reicher Eltern. Seine Noten und Studiendauer an der Universität waren umgekehrt proportional zu seinen Anwesenheitsstunden. In den einschlägigen VIP-Lokalen war er hingegen eine bekannte und allgegenwärtige Größe. Alkohol, Drogen, Frauen ziemlich häufig und ziemlich viele. Erste Befragungen und die Analyse der sozialen Netzwerke hatten zahlreiche Ansatzpunkte für Ermittlungen und Verdächtige ergeben. Er hatte Kommilitonen um Geld geprellt, Frauen betrogen und fallen gelassen, Ehemännern und Partnern Hörner aufgesetzt und an der Uni zahlreiche Personen bedroht. Und das alles so unverfroren, dass die Ermittler nur einen halben Tag benötigten, um all das herauszufinden.

 

Ihm schien alles scheißegal. Für die eben aufgezählten Informationen brauchten die Hamburger Kollegen eigentlich niemanden befragen. Sie mussten sich bestenfalls vergewissern, ob all das, was in den sozialen Netzwerken über ihn steht, auch nur annähernd stimmt“, erläuterte Klaus Sehlmann.

 

Und was bedeutet das für unsere Fälle?“, wollte Hauptkommissarin Garber wissen.

 

Kommt jetzt“, erwiderte Sehlmann. „Aus dem ganzen Ärger den Wehmeier durch seine Twitter und Fatelogposts verursacht hat, sticht ein Fall heraus. Nicht in Bezug auf die Skandalträchtigkeit, aber in puncto Konsequenzen. Denn ein von ihm ausgelöster Skandal hat offenbar zu einem Selbstmord geführt. Ein Professor der theologischen Fakultät hat sich umgebracht, nach einem Shitstorm, ausgelöst durch einen Post von Wehmeier, in dem er von einer oder einer angeblichen Affäre des Professors mit einer Studentin von Wehmeier berichtete. Und klingelt es? Das ist die Schnittmenge. Drei Tote und bei allen führten Posts auf Fatelog zu Morden oder Selbstmorden“.

 

Ist das nicht ein wenig voreilig. Eine zu gewagte Theorie?“, fragte Hauptkommissar Strecker.

 

Ich bin mir sicher“, antwortete der Fallanalytiker. „Es gibt noch etwas, was für meine Theorie spricht.“

 

Klaus Sehlmann machte eine Pause. Und genoss die Spannung seiner Kollegen, die im Raum deutlich spürbar war.

 

Die Art der Morde. Der Täter ist kein psychopathischer Sadist. Na gut. Nicht nur. Er hat die Opfer nicht so abgeschlachtet, weil es ihm Spaß machte. Sondern weil er eine Botschaft hatte. An uns, hoffe ich. Denn sonst wird es ganz übel.“

 

Genug. Spucken Sie es endlich aus“, herrschte Hauptkommissarin Garber ihn an.

 

Er stopft ihnen ihr Maul. Mit ihrer eigenen Scheiße. Das ist die Botschaft.“

 

Scheiße!“. Damit beendete Strecker das Schweigen in der Runde, mit dem sie stumm übereingekommen waren, die Theorie des Profilers zu akzeptieren. „Was nun? Weitere Interviews von Verdächtigen aus dem näheren Umfeld der Toten können wir uns wohl schenken.“

 

Nein. So einfach ist das nicht“, entgegnete die Hauptkommissarin. „Es ist nicht gesagt, dass es nicht doch noch eine Person gibt, die unsere beiden Opfer kannte. Aber darüber hinaus müssen wir natürlich auch die Möglichkeit berücksichtigen, dass es jemand ist, der keine persönliche Beziehung zu den Opfern hatte. Kommissar Sehlmann und ich informieren das LKA. Dann sehen wir, wie es weiter geht.

 

Bis dahin stöbern wir weiter im persönlichen Umfeld der Toten“.

 

Hauptkommissar Strecker, Kommissar Bauer, übernehmen Sie bitte die Befragung der Eltern von Heidi Lamprecht. Sie müssten gleich kommen.

 

Die anderen planen und organisieren die Vernehmung der weiteren Zeugen bzw. Verdächtigen. Sobald wir mit dem BKA und den Hamburger Kollegen gesprochen haben, kommen wir zurück. Hauptkommissar Warnecke, könnten Sie bitte ihr Büro bitten, die Hotelzimmer zu verlängern bzw. neue Zimmer zu buchen. Ich fürchte, heute wird es spät“.“

 

Damit stand sie auf, fingerte ihr Handy aus der Seitentasche und tippte dreimal. Sie war schon aus dem Zimmer, den Fallanalytiker im Schlepptau, nicht mehr zu sehen, aber noch zu hören: „Chef, ich brauche für fünf Minuten ihr Ohr und danach wahrscheinlich ihre Unterstützung.“

 

Die im Konferenzraum verbliebenen Ermittler sahen sich schweigend an.

 

Die anderen machen am besten eine Pause“, brach Hauptkommissar Strecker das Schweigen. „Ich fürchte, wenn wir jetzt Termine mit den Kontaktpersonen der Opfer machen, werden wir diese nicht einhalten können. Kommen Sie Bauer, wir interviewen die Eltern. Ich schätze, wir sind schnell zurück“.

 

Schon eine halbe Stunde später hatten sie das Verhör der Eltern beendet. Lustlos aber pflichtgemäß hatten sie ihr Frageprogramm heruntergespult. Denn an die Möglichkeit, dass die Eltern oder ein Elternteil der Täter waren, glaubten sie nicht. Nicht mehr. Nicht nach der Tat in Hamburg.

 

Gegen 18:30 Uhr kamen Frau Garber und Herr Sehlmann zurück. Sofort kehrte Stille ein, Stimmen verstummten, Tastaturen hörten auf zu klappern.

 

Ok. Es ist spät. Machen wir es kurz. Wir werden der Spur, nein der Theorie, dass die Posts in den sozialen Netzwerken ursächlich für die Verbrechen sind, Priorität einräumen. Da die Taten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zusammen hängen und in mehreren Bundesländern verübt wurden, ist das BKA mit an Bord. Deshalb werden wir uns ab morgen aufteilen. Die Herren Wink, Brauers und Lohr kümmern sich um die Befragungen aus dem Umfeld des Kölner und Bonner Opfers. Wir anderen machen einen Ausflug. Nach Meckenheim. Abfahrt ist hier 7:30 Uhr. Die Videokonferenz startet um 8:30 Uhr. Kommissar Sehlmann, mit ihrem Feierabend wird es noch etwas dauern. Es wäre hilfreich, wenn wir morgen zum Termin ein erstes Täterprofil hätten. Noch Fragen oder Anmerkungen? Nein“, ergänzte sie nach kurzem Zögern. „Dann einen schönen Abend noch die Herren“.