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Fatebug - Tödliches Netzwerk 41

 

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Sie schafften es gerade rechtzeitig. Fast eine dreiviertel Stunde hatten sie benötigt, um sich durch den Bonner Berufsverkehr nach Meckenheim zu quälen. Nachdem sie sich am Empfang ausgewiesen hatten, mussten sie noch ca. fünf Minuten in einer dem Empfang gegenüber platzierten Sitzgruppe warten, bis sie endlich abgeholt wurden.

 

Guten Tag, mein Name ist Herbert Marten“, stellte sich der junge Mann vor, der die angereiste Ermittlergruppe in Empfang nahm. „Ich bin Kommissar beim BKA und werde mit Ihnen an den Fällen arbeiten. Wenn sie erlauben, führe ich sie nun in den Konferenzraum“.

 

Als Hauptkommissarin Garber versuchte, sich und die Kollegen vorzustellen, würgte Kommissar Marten sie mit dem Hinweis ab, dass wegen der Beteiligung weiterer BKA-Kollegen und den Hamburger Ermittlern sowieso eine Vorstellungsrunde zu Beginn der Konferenz vorgesehen sei.

 

Ihm folgend, durchquerte die Gruppe das Foyer und verschwand in einem Lift, der sie in den 4. Stock transportierte. Als sie nach einem kurzen Gang über den Flur einen großen Konferenzraum betraten, wurden sie von zwei Männern begrüßt.

 

Der ältere der beiden stellte sich als Kriminalrat Paulsen vor. Abteilungsleiter in der Abteilung „SO“, die beim BKA für schwere und organisierte Kriminalität zuständig war. „Bitte nehmen Sie Platz“, forderte der Kriminalrat die Gäste auf und bewegte sich zu einem großen rechteckigen Tisch, der an drei Seiten mit Bürostühlen umstellt war. An der Wand, an der Seite der stuhlfreien Tischkante, befanden sich zwei große Bildschirme, die plötzlich aufflackerten und den Blick auf einen Raum freigaben. Kurze Zeit später nahmen drei Personen, zwei Männer und eine Frau am Tisch Platz.

 

Guten Morgen, meine Damen und Herren, mein Name ist Walter Paulsen. Ich bin Kriminalrat beim BKA“, eröffnete Paulsen das Gespräch. „Bevor wir auf den Fall zu sprechen kommen, sollten wir uns kurz miteinander bekannt machen, denn wir werden auch über den heutigen Termin hinaus noch weiter zusammenarbeiten. Das gilt nicht so sehr für mich, denn für das BKA werden die beiden neben mir sitzenden Kollegen die Ermittlungen begleiten. Fritz, fang bitte an“, leitete er an den links von ihm sitzenden Kollegen weiter.

 

Mein Name ist Fritz Faber, Hauptkommissar beim BKA in der Abteilung von Herrn Paulsen. Ich bin der seitens des BKA zuständige Leiter für die Ermittlungen. Verstärkt werden wir durch Kommissar Marten. Herbert, machst Du weiter?“.

 

Gerne, ich bin Herbert Marten, Kommissar in der Abteilung SD, zuständig für zentrale kriminalpolizeiliche Dienste. Weil das Thema Informationsverarbeitung bei der Aufklärung der Taten eine wesentliche Rolle spielen könnte, bin ich der Task Force als Spezialist für Informationsverarbeitung und Telekommunikation ergänzend zugeordnet.“

 

Nachdem sich die Ermittler des BKA, dem Kölner und dem Bonner Präsidium vorgestellt hatten, stellten sich die Hamburger Kollegen via Bildschirm vor. Die Hamburger Ermittlergruppe bestand aus Hauptkommissar Michael Weissbach und den Kommissaren Andrea Most und Jan Steiger.

 

Als Erstes sollten wir uns einen gemeinsamen Überblick über den Stand der derzeitigen Ermittlungen in den einzelnen Fällen geben. Ich schlage vor, dies in der chronologischen Reihenfolge zu tun. Hauptkommissar Strecker, fangen sie an?“.

 

Strecker, Warnecke und Weissbach spulten ihre Berichte runter. Da mittlerweile alle davon überzeugt waren, dass die Motive und Täter nicht im persönlichen Umfeld der Opfer zu finden waren, hielten sie sich entsprechend kurz.

 

Vielen Dank“, übernahm der Kriminalrat wieder das Kommando. „Dann darf ich den Kollegen Sehlmann vom LKA bitten, uns die Theorie zu erläutern, die uns alle hier zusammengeführt hat. Kommissar Sehlmann?“, schloß er.

 

OK“, begann Klaus Sehlmann. „Ich werde Ihnen zuerst die für unsere Theorie relevanten Fakten vorstellen. Wohl gemerkt, es ist eine Theorie, die uns allerdings, wenn wir uns auf die aufgeführten Indizien fokussieren, recht wahrscheinlich erscheint. Was wissen wir diesbezüglich über die Opfer?

 

In Köln. Moritz Donner. Gastwirt. Er postete im Zeitraum vom 03.02. bis zum 20.02. auf Fatelog dreimal zu einem aus Marokko stammenden jungen Mann, Ahmed Fanschouri, der bei Victoria Köln-Mülheim, einem Konkurrenzverein von Germania Mühlheim, dem Verein des Toten gespielt hatte. Fanschouri wurde am 23.02. überfallen, zusammengeschlagen und ist am 27.02. in der Kölner Uniklinik seinen Verletzungen erlegen. Die Täter konnten bis dato noch nicht ermittelt werden. Den Zeugenaussagen nach handelte es sich um eine Gruppe von Jugendlichen.

 

Bonn. Das Opfer Karin Schuster hat am 04. April auf ihrer Fatelogseite ihre Beziehung zu ihrer Freundin Heidi Lamprecht gepostet. Heidi Lamprecht hat am 30.07. Selbstmord begangen.

 

Das Hamburger Opfer, Steffen Wehmeier, hat am 11.04. durch einen Post auf seiner Fatelogseite die Beziehung eines Professors der theologischen Fakultät, Karl Werner, zu einer seiner Studentinnen, Alicia Kling, öffentlich gemacht. Der Professor hat sich am 17.06. das Leben genommen.

 

Drei Morde, drei Morde oder Selbstmorde, zu allen gab es vorherige Fatelogpostings der Mordopfer.

 

Wir suchen eine Art Rächer, der Menschen ermordet, die er für den Tod von anderen Menschen verantwortlich macht. Und er ermordet sie auf eine besonders abscheuliche und markante Art. Er verbindet ihren Darmausgang mit ihrem Mund, lässt sie folglich, bitte entschuldigen Sie die folgende Formulierung, die eigene Scheiße fressen, die sie produzieren.

 

Wir suchen wahrscheinlich einen Täter, der selbst in seinem Umfeld Schaden erlitten oder Opfer zu beklagen hat, deren Ursachen er auf Meldungen in den sozialen Netzwerken zurückführt.

 

Der Täter ist intelligent, arbeitet systematisch, hat bisher keine Fehler gemacht, die uns auf seine Spur bringen könnten“.

 

Wie oder wonach hat er die Opfer ausgewählt?“, fragte Hauptkommissar Weissbach aus Hamburg.

 

Das wissen wir nicht. Noch nicht. Wir wissen nur, dass es zu allen Fällen, also dem Mord und den Selbstmorden, zumindest in der regionalen Presse und im Internet Berichte gab. Die könnten ihn auf die Ereignisse aufmerksam gemacht haben. Dann musste er nur die Spuren zurückverfolgen. Zu den Posts. Aber das ist Spekulation.“

 

Das heisst, er brauchte keine speziellen IT-Fähigkeiten?“, fragte Hauptkommissar Faber.

 

Nicht unbedingt“, antwortete Kommissar Sehlmann.

 

Wird er weiter machen?“, fragte Lydia Garber.

 

Auch dazu wissen wir nichts“, antwortete Sehlmann. „Aber bisher lief es wohl gut für ihn. Warum also aufhören?“

 

Und wie viele potentielle weitere Opfer bietet ihm das Internet?“, fragte Hauptkommissar Strecker.

 

Tausende. Hunderttausende“, sagte der Fallanalytiker. „Die sozialen Netzwerke sind voll von Postings, die Intimes offenbaren, die verletzend sind oder zu Gewalttaten aufrufen.

 

Natürlich können wir versuchen, Gewalttaten, Überfälle, Morde oder auch Selbstmorde darauf hin zu analysieren, ob es im Vorfeld entsprechende Postings gegeben hat. Aber auch hier reden wir sicher von mehreren tausend Fällen. Immerhin könnten wir dabei gleichzeitig nach zwei Dingen suchen. Möglichen weiteren Opfern. Und dem Täter.“

 

Marten, das übernehmen Sie“, ordnete Hauptkommissar Faber an. „Entwickeln sie ein Konzept, wie wir das am besten bewerkstelligen, wie wir das machen, wen oder was wir dazu brauchen und wie lange es in etwa dauern würde. Kommissar Sehlmann, sie versuchen bitte das Täterprofil weiter zu präzisieren. Wir zusammen bilden eine Sonderkommission. Alle bisher mit der Aufklärung der Fälle befassten Beamten sind vorläufig Mitglieder dieser Kommission. Sie sind mit sofortiger Wirkung von allen anderen Aufgaben entbunden. Das hat Kriminalrat Paulsen mit ihren Dienststellen bereits geklärt. Die Operationszentrale werden wir in diesem Haus einrichten. Ich zeige Ihnen jetzt die Räumlichkeiten.“

 

Keine halbe Stunde später hatten sie einen Bürotrakt im Erdgeschoss bezogen, ihre Laptops installiert und saßen in einem kleineren Konferenzraum zusammen. Auch hier waren Hamburger Kollegen zugeschaltet, allerdings fehlte Kommissar Steiger, der bereits auf dem Weg nach Meckenheim war.

 

Wir müssen uns überlegen, wie wir vorgehen können“, sagte Hauptkommissar Faber und blickte fragend in die Runde. „Das wir mit der Recherche der Kollegen Marten und Sehlmann weiter kommen, darauf können wir uns nicht verlassen. Die suchen eine Nadel in einem gigantischen Heuhaufen. Die Chance, dass wir weitere verwertbare Anhaltspunkte im persönlichen Umfeld der Opfer finden, halte ich ebenfalls für gering. Also was tun?“

 

Im persönlichen Umfeld vielleicht nicht“, sagte Frau Garber. „Aber so akribisch und geplant wie er vorgegangen ist, muss er die Opfer vorher beobachtet haben. Wir sollten die Personen befragen, die sich häufiger im Umfeld der Tatorte oder der Wohnungen der Opfer aufgehalten haben. Nachbarn, Hausangestellte oder Lieferanten, die regelmäßig dort vorbei kamen. Vielleicht ist jemandem etwas aufgefallen. Ansonsten sollten uns auf die Kommunikation der Opfer in den sozialen Netzwerken konzentrieren. Vielleicht hat sich der Täter ja an der Kommunikation beteiligt. Zudem sollten wir versuchen, mehr über die potentiellen Auslöser für die Morde zu verstehen. Auch um den Täter besser kennen zu lernen. Ich weiß allerdings nicht, wie wir an die Zugangsdaten für die sozialen Netzwerke der Opfer kommen“.

 

Damit kann ich unsere Spezialisten beauftragen“, antwortete Faber. „Ich gebe Kommissar Marten Bescheid. Er wird die Bereitstellung der Daten veranlassen. Bis dahin bitte ich sie, sich mit den lokalen Ermittlungsteams zu besprechen. Gegebenenfalls gibt es ja bereits neue Erkenntnisse oder die Notwendigkeit der Koordination derer mit unseren Aufgaben. Wir treffen uns wieder um 13:30 Uhr. Bis dahin haben unsere Spezialisten uns hoffentlich Stoff zum Lesen beschafft“.