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Fatebug - Tödliches Netzwerk 86

 

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Auch Detlef Schmittke war müde. Glücklicherweise musste er nicht fahren. Das erledigte der junge Kollege, der ihn als Fotograf nach Bischofswerda begleitete. So konnte er immer wieder kurz weg dösen.

 

Sie waren erst kurz vor 18:00 Uhr aufgebrochen. Heute würde es nur nach Dresden gehen, wo das Sekretariat der Redaktion ihnen noch ein Hotel gebucht hatte. Leider hatten sie aber vorher noch etwas zu tun, eine Verabredung mit dem für Bischofswerda zuständigen lokalen Reporter. Den hatte die Chefredaktion des „Mitteldeutschen Anzeigers“ schon alarmiert. Er und einige Hilfskräfte erwarteten Detlef Schmittke und seinen Fotografen Frank Ewers um 23:00 Uhr im Dresdner Redaktionsgebäude des Anzeigers. Sie kamen nur langsam voran und würden es kaum pünktlich schaffen. Aber die sächsischen Kollegen würden warten.

 

Schmittke war vollkommen überrascht und irritiert durch die Berührung an seinem linken Arm. Er brauchte einige Sekunden um wieder Verbindung mit der Realität zu bekommen. Erst langsam konnte er die Bedeutung der Laute entschlüsseln, die er nur sehr reduziert wahrgenommen hatte. „Wir sind da“, hatte jemand zu ihm gesagt. Scheiße, er musste eingeschlafen sein. Er fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht, registrierte seinen übelriechenden Atem und seinen fiesen Geschmack im Mund. Hoffentlich hatte er nicht gesabbert. Unglücklicherweise noch neben einem Fotografen. Er hatte nicht nur Freunde im Anzeiger.

 

Schmittke blickte durch die Frontscheibe auf die Fensterfront eines mehrstöckigen Gebäudes. Es waren nur noch wenige Fenster, hinter denen noch Licht brannte und selbst diese Aussicht war verschwommen. Verwischt durch den Nieselregen und seine Spuren auf der Scheibe.

 

Na dann mal los. Keine Müdigkeit vorschützen. Wir sind ja nicht zum Vergnügen hier“, rief er aus.

 

Drei Phrasen, drei Gründe weniger ihn zu mögen. Der hat gut reden. Hat fast die ganze Fahrt geschlafen, sägend und sabbernd während ihm vor Müdigkeit fast die Augen zufielen. Ich hätte ihn fotografieren sollen“, dachte sich der Fotoreporter.

 

Beide stiegen aus und hasteten die paar Meter bis unter das Vordach über dem Eingang. Der Fotograf betätigte die Klingel. Jetzt, hier im Trocknen stehend, war Schmittke ganz froh über den Nieselregen. Das kühle Nass, auch wenn es ihm nur wenige Sekunden in das Gesicht geweht wurde, hatte ihn erfrischt, wacher gemacht, fast wie eine kleine, zu kurze Dusche. Sie brauchten nicht lange zu warten bis ihnen die Tür geöffnet wurde. Sie wurden ja erwartet.

 

Der Pförtner führte sie durch das halbe Foyer, wies dann auf eine Tür, halb geöffnet, den Raum hinter ihr erleuchtet. Sie gingen die restlichen 10 Meter unbegleitet, traten ein und fanden eine Gruppe von fünf Personen vor, die sich um einen großen Konferenztisch verteilt hatten.

 

Einer der Männer, derjenige welcher der Tür am nächsten saß, stand auf und kam auf die beiden Gäste zu.

 

Herzlich willkommen“, begrüßte er die beiden Kölner Kollegen. „Mein Name ist Michael Gerster, ich bin stellvertretender Chefredakteur bei unserer Zeitung“.

 

Dann begann er die anderen Anwesenden vorzustellen. Schmittke konzentrierte sich nur auf den Lokalreporter, Klaus Proff. Den Rest konnte, brauchte und wollte er sich nicht merken. Eigentlich waren es ihm zu viele Personen, zu viele Chancen, dass etwas frühzeitig durchsickerte, ihm die Story kaputt machte.

 

Haben Sie ihren Kollegen schon gesagt, worum es geht?“, fragte er den stellvertretenden Chefredakteur.

 

Nein, sie waren zwar alle sehr neugierig, aber ich habe sie auf ihre Ankunft vertröstet“, antwortete Gerster.

 

Gut, dann möchte ich zuerst mit Ihnen und Herrn Proff allein reden. Schicken Sie die anderen raus“, befahl Schmittke.

 

Aber“, versuchte der Chefredakteur Schmittke umzustimmen, der ihn jedoch sofort wieder unterbrach.

 

Kein aber. Oder keine Story“, zischte Schmittke mit voller Schärfe.

 

Meine Herren“, wandte sich Michael Gerster an die Gruppe. „Herr Schmittke und ich haben vorab noch einige geschäftliche Dinge zu besprechen. Daher möchte ich sie alle, bis auf den Kollegen Proff bitten, uns kurz allein zu lassen. Es wird sicher nicht lange dauern“.

 

Die Gruppe sah ihn irritiert an und setzte sich in Bewegung. Nur Klaus Proff blieb verdutzt zurück.

 

Der Chefredakteur bat die Kollegen Platz zu nehmen und setzte sich zu ihnen an den Tisch.

 

Kollegen“, begann Schmittke, „wir haben die Chance eine der größten Geschichten des Jahres zu veröffentlichen. Exklusiv. Daher darf nichts von dem, was ich Euch jetzt erzähle, diesen Raum verlassen. Kann ich mich darauf verlassen?“.

 

Die beiden sächsischen Kollegen nickten und Schmittke begann ihnen von der erhaltenen Mail, dem gelösten Rätsel und seinen Erwartungen zu erzählen. Dabei präsentierte er ihnen mittels seines Laptops die Mail, zeigte einen kurzen Ausschnitt aus dem Video und zum Schluss die Bilder des Eingangs zum Schrebergarten und des Gartenhäuschens.

 

Aber sie und die draußen wartenden Kollegen müssen mir helfen, die Schrebergartenkolonie und das Gartenhäuschen zu finden. Noch bevor es hell wird. Dann fahren wir zusammen dort hin und besprechen, wie es weiter gehen soll. Einverstanden?“, fragte Schmittke.

 

Wieder nickten die beiden Mitarbeiter des mitteldeutschen Anzeigers. Dann stand Michael Gerhard auf und bat die wartenden Kollegen herein.

 

Kollegen“, begann Schmittke, nachdem die Gruppe Platz genommen hatte. „Wir haben einen Tipp bekommen, der zu uns zu einer exklusiven und lukrativen Geschichte verhelfen kann. Dazu ist es wichtig, dass wir einen bestimmten Ort finden. Bitte stellen Sie sich hinter mich, damit ich es ihnen zeigen kann“.

 

Schmittke wartete bis sich alle hinter ihm gruppiert hatten, rief das Bild vom Eingang der Gartenkolonie auf und fuhr dann fort. „Der Ort befindet sich in einer Gartenkolonie deren Eingang sie auf diesem Bildschirm sehen. Wir sind uns ziemlich sicher, dass sich die Kolonie in Bischofswerda oder seiner unmittelbaren Umgebung befindet. Ihrer Aufgabe ist es, dem Kollegen Proff zu sagen oder zu zeigen, wo sich dieser Eingang befindet. Allerdings müssen wir mit der Suche sofort starten. Und den Eingang finden, bevor es hell geworden ist. Prägen Sie sich das Bild bitte gut ein. Wir haben leider keine Ausdrucke.“

 

Sofort löschen“, brüllte Schmittke als er registrierte, dass einer der Männer den Laptopbildschirm mit seinem Smartphone abfotografiert hatte. „Sofort!“, setzte er nach, als der Mitarbeiter erschrocken zögerte.

 

Schon gut“, stammelte der Angegriffene und begann an seinem Smartphone herumzufingern.

 

Los!“, brüllte Schmittke als die Gruppe immer noch keine Anstalten machte, aufzubrechen. Das half, sie verließen den Saal.

 

Stopp. Proff, sie nicht. Noch nicht. Hier ist meine Karte. Rufen Sie mich an, sobald Sie fündig geworden sind. Aber überzeugen Sie sich vor Ort davon, dass wir wirklich den richtigen Ort gefunden haben“.

 

Was wollen sie tun, wenn sie die Datsche gefunden haben?“, fragte der Chefredakteur.

 

Das werden wir sehen“, antwortete Schmittke. „Wir werden ganz genau hinsehen“, dachte er sich.