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Fatebug - Tödliches Netzwerk 97

 

97.

 

 

 

Er hatte gut geschlafen. Trotz der vielen Nickerchen auf der Rückreise am Vortag. Nachdem er zurück zu Hause war, hatte er noch kurz die Nachrichten eingeschaltet, wollte sehen, ob Bischofswerda oder gar Bad Hindelang schon in den Medien war. Über die fehlende Meldung aus Bad Hindelang freute er sich, dass nichts über Bischofswerda berichtet wurde, fand er aber enttäuschend. Hatten die Journalisten etwa versagt, sein Rätsel noch nicht gelöst? Trotzdem war er sofort eingeschlafen und hatte bis kurz vor 8:00 Uhr durchgeschlafen. Er wollte noch schnell zum Bäcker, Brötchen kaufen und eine Zeitung aus dem Kiosk nebenan.

 

Als er den Kiosk betrat und auf den Stapel der vor dem Tresen liegenden Sonntagszeitung starrte, begann er leicht zu zittern. Vor Aufregung. Vor Freude.

 

Es hatte funktioniert. Die Reporter hatten ganze Arbeit geleistet. Von seiner derzeitigen Position konnte er nur die Überschrift lesen, aber die versprach schon einiges. Nervös fingerte er nach seiner Geldbörse in der Hosentasche, kramte ein Zwei-Euro-Stück heraus, legte es auf den Tresen und nahm sich eine Zeitung vom Stapel. Er konnte sich kaum beherrschen, verspürte den unbändigen Drang die Zeitung sofort aufzuschlagen und alle, restlos alles, was über sein Werk in Bischofswerda geschrieben stand, zu lesen. Doch das wäre gefährlich gewesen, er hätte auffallen können, Aufmerksamkeit erregen können. Er riss sich zusammen, eilte nach Hause, wo er die Zeitung unverzüglich verschlang.

 

Er war sehr zufrieden, mehr als zufrieden. Besser konnte es gar nicht sein. Oder doch? Wie hatte er das vergessen können, heute Morgen. Schnell klappte er seinen Laptop auf, rief die Fatelogseite von Faithback auf und lehnte sich zufrieden zurück. Schönes Symbol. Fast 70.000 Likes. Tendenz steigend.

 

Zeit für ein Frühstück. Während er bei einer Tasse Kaffee und seinen Brötchen am Esstisch saß, las er den ganzen Artikel nochmals in Ruhe durch. Genoss Satz für Satz, Wort für Wort, Bild für Bild, konnte kaum aufhören.

 

Doch es gab noch Einiges zu tun. Spätestens morgen würden sie die Leiche in Bad Hindelang finden. Dann musste er handlungsfähig sein, um das Feuer zu schüren, die Wellen zu erzeugen.

 

Also ran ans Werk, den Laptop wieder aufgeklappt, die Kamera angeschlossen und das Video überspielt. Er aktivierte das Videoschnittprogramm und kürzte die gut zwei Stunden Filmmaterial auf einen 30 minütigen Film und einen 90 Sekunden dauernden Trailer zusammen. Er speicherte das Ganze auf seinem Laptop ab. Ein Blick auf die Uhr. Mittlerweile war es schon fast 14:00 Uhr. Da war es Zeit aufzubrechen, er musste noch einige Kilometer fahren bis zu seiner nächsten sicheren Hochladestation. Die Adresse in Bielefeld war mittlerweile wahrscheinlich schon identifiziert, wurde vielleicht überwacht, war für ihn also nicht mehr brauchbar. Aber das wäre ihm auch zu weit gewesen, es gab Dutzende unzureichend gesicherter WLAN-Zugänge. Auch schon im Ruhrgebiet, näher als Bielefeld, aber mindestens genauso geeignet.

 

Auf der Autobahn kam er erstaunlich zügig voran, passierte Leverkusen, Wuppertal und lenkte den Wagen dann Richtung Bochum. Dort nahm er die Abfahrt Gehrte, bog links ab Richtung Innenstadt und hielt in der Nähe eines Cafes auf der Castroper Straße, nicht weit vom Ruhrstadion.

 

Es fing an zu dämmern, er musste sich beeilen, er war zu auffällig, wenn eine im Auto sitzende Person einen Laptop bediente. Passanten könnten sich wundern, sich Wagentyp und Farbe merken, womöglich sogar das Kennzeichen. Und das hier war sein Wagen. Er hatte es für riskant gehalten, sich nochmals einen Leihwagen zu nehmen hatte dieses Mal sein eigenes Fahrzeug gefahren. Den Fatelogaccount und die Fatelogseite, die er dieses Mal benutzen würde, kannten sie noch nicht. Es sei denn, sie wären sehr kreativ gewesen.

 

Die Seite von Faithback war zwar noch offen, konnte aber jeden Augenblick gesperrt werden, war also keine Plattform mehr für sein neues Material.

 

Wie lange sie wohl brauchen würden, um die neue Botschaft zu finden? Er hatte ihnen nicht viele Anhaltspunkte gegeben. Die Seite enthielt nur einen Post, namens Bad Hindelang, über die der Film und der Trailer abrufbar waren. Und natürlich zeigte das Profilbild das Zeichen der Bewegung, seiner Bewegung; zeigte das weiße Kreuz auf blauem Grund. Das Symbol der Aufforderung an die Geschädigten, sich zu wehren. Wie auch sein neuer Name, der Name des Accounts und der neuen Seite eine Aufforderung war, sich zu wehren. Sein neuer Name war „Fightback“.