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Fatebug - Tödliches Netzwerk 114

 

114.

 

 

 

Am Abend fuhr Hauptkommissar Strecker noch einmal in die Ölbergstrasse. Vielleicht würde er Ralf Heeger ja am Abend antreffen. Er hatte Kommissar Lohr angeboten, ihn zu begleiten, der hatte jedoch gemeint, dass ein Beamter genug sei für die Befragung. Sofern es überhaupt zu einer Befragung kam und Heeger zu Hause war.

 

Also fuhr er allein. Er hatte gewartet, bis der Berufsverkehr vorbei war. Er wollte nicht wieder den halben Arbeitstag auf der Straße verbringen. Außerdem war die Chance, dass Heeger zu Hause war, am späten Abend deutlich besser.

 

Es war schon fast 20:00 Uhr als er in die Ölbergstraße einbog. Dieses Mal war es schwieriger einen Parkplatz zu finden. Es war ein Wohnviertel, die Menschen kamen von der Arbeit zurück, die Autos standen vor den Wohnungen. Er drehte zwei Runden, fuhr langsam und spähte schon aus dem Wagen zur Wohnung von Heeger hinauf. Brennendes Licht konnte er nicht entdecken, aber das musste nichts heißen. Vielleicht waren auch die Vorhänge zugezogen oder die Rollos heruntergelassen, vielleicht hielt er sich nicht in dem der Strasse zugewandten Teil der Wohnung auf. Vielleicht. Zu viele Möglichkeiten. Auf der dritten Runde um den Block wurde es ihm zu bunt, eine vierte würde es nicht geben. Strecker parkte den Wagen direkt vor der Haustür in zweiter Reihe, schaltete die Warnblinklichter ein und stieg aus. Auch als er durch den kalten Wind Richtung Haustür schritt, konnte er keine Lichtquelle in Heegers Wohnung ausmachen. An der Haustür angelangt, betätigte er die Klingel. Hören konnte er nichts, weder ein Schellen, noch das Surren des Türöffners oder gar eine neugierige Stimme aus der Gegensprechanlage. Er versuchte es noch einige Male, doch offenbar war Heeger nicht zu Hause oder wollte nicht öffnen. Um Letzteres auszuschließen, schellte er Sturm. Dieses Mal meldete sich eine Stimme über die Gegensprechanlage, aber nur um ihn als Idioten zu beschimpfen und ihn aufzufordern endlich Ruhe zu geben. Als sich der Mann beruhigt hatte, entschuldigte sich der Hauptkommissar, nannte seinen Namen und Dienstgrad und bat um Einlass. Der Türöffner summte, Strecker stieg die Treppe hoch, bis in die oberste Etage, wo ein Mann in der geöffneten Tür gegenüber der Wohnungstür von Ralf Heeger wartete.

 

Nein, ich denke nicht, dass Herr Heeger zu Hause ist. Es sei denn er hat weder Licht noch den Fernseher angemacht. Normalerweise kann ich aus meinem Wohnzimmer den Schein einer Lampe oder des Fernsehers sehen, wenn er zu Hause ist. Nein, wenn Herr Heeger Rollläden oder Vorhänge hat, zieht er die nie zu“ sagte der Bewohner.

 

Strecker gab dem Mann seine Karte und bat ihn, anzurufen, wenn er feststellen sollte, dass Ralf Heeger zu Hause sei.

 

Da er hungrig war, beschloss er, in einem Lokal in der Nähe noch etwas zu essen und später nochmals vorbei zu schauen. Das entpuppte sich schwieriger als geplant. Er konnte unmöglich den Wagen in der Fahrspur stehen lassen und in aller Ruhe essen gehen. Also versuchte er es erneut mit der Parkplatzsuche, drehte wieder etliche Runden um den Block, weitete den Radius aus, hatte aber keinen Erfolg. Letztlich entschied er sich, einen weiteren Versuch bei Heeger zu unternehmen. Er parkte wieder in der zweiten Reihe, klingelte wiederholt, dieses Mal aber etwas rücksichtsvoller , hatte aber wieder keinen Erfolg.

 

Dann fuhr er zurück in das Präsidium. Etwas Essen konnte er schließlich auch dort in der Nähe, in Kalk oder kurz vorher in Deutz. Er entschied sich für einen Spanier in Deutz und war letztlich gegen 22:30 Uhr zurück im Präsidium.

 

Strecker war unzufrieden, mit sich, dem Ermittlungsteam, mit den Ergebnissen, mit allem. Sie waren jetzt über 3 Wochen an dem Fall dran. Mit hunderten von Beamten und hatten nichts. So etwas hatte er noch nicht erlebt, so viel Aufwand, so wenig Ertrag. Es konnte doch nicht angehen, dass der Täter keine Spuren hinterlassen hatte, dass er nicht doch einen Fehler gemacht hatte. Sie mussten etwas übersehen haben. Sie mussten. „Irgendwie idiotisch“ dachte er sich. „Ihre einzige Hoffnung war die, dass sie etwas übersehen hatten“.

 

Er beschloss, die Akten nochmals zu prüfen. Nicht nur den Fall in Köln, sondern alle Fälle. Köln, Bonn. Hamburg, Bischofswerda und Bad Hindelang. Und er würde gleich damit beginnen.

 

Leider war die Fallakte viel zu umfangreich, um sie auszudrucken. Er würde also am Computer arbeiten müssen. Nicht gerade die Chancen steigernd, aber er hatte keine andere Option. Noch schnell einen Kaffee zur Ermunterung, dann löschte er das Licht bis auf die Schreibtischlampe und machte sich an die Arbeit.

 

Mühsam quälte er sich durch die Berge von Informationen. Protokolle, Berichte, Bilder, Statistiken wanderten über den Bildschirm seines Computers. Es waren bereits Stunden vergangen, der Morgen war noch Stunden entfernt und er war schon ziemlich erschöpft, konnte die Augen kaum noch offen halten. Ächzend erhob er sich, um sich einen weiteren Kaffee zu holen. Vielleicht würde ihm das helfen, ihn etwas munterer machen. War es das vierte oder bereits das fünfte Mal, dass er über den schwach beleuchteten Flur zur Kaffeeküche schlich? Außer ihm war niemand da, die Wache im Erdgeschoss war natürlich besetzt, aber hier auf dieser Etage war er allein, es war dunkel, nur die Hinweisschilder für die Notausgänge leuchteten hell.

 

Der Kaffee, er hatte die halbe Tasse schon auf dem Rückweg ausgetrunken, hatte ihn wirklich etwas wacher gemacht. Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, stellte die Tasse rechts neben die Tastatur und machte sich wieder an sein Werk, stürzte sich auf eine Sequenz von Bildern. Plötzlich stutzte er, schloss die Datei und suchte gezielt in der Akte nach bestimmten Dokumenten. Aber er fand nichts, zumindest nicht das, was er suchte. Er öffnete noch einmal die Datei mit den Bildern. Sah sie sich an, Bild für Bild. Er war sich sicher. Hier lag eine Chance, es gab keine Gewissheit, aber eine Chance und er spürte, dass es die beste war, die sie bisher gehabt hatten.

 

Instinktiv griff er zum Telefon, hatte seine Finger schon auf dem Tastenfeld, die Nummer seines Assistenten schon vor Augen; dann hielt er inne. Strecker blickte auf die Uhr. Es war kurz vor 4:00 Uhr. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen legte er den Hörer wieder auf. Nein, er würde ihn schlafen lassen, nicht aus Rücksicht, sondern weil Max Lohr ihm nicht würde helfen können. Den Fehler hatten sie in Bonn gemacht. Und sie würden ihn alle gemeinsam korrigieren müssen.